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Furbaby_Mom

Posted on 20.9.2020

Atmosphärischer Trilogie-Auftakt! Marlene Averbeck entführt die Leser in das Berlin des frühen 20. Jahrhunderts. Am Hausvogteiplatz, mitten im Herzen der schon damals in Sachen Modetrends richtungsweisenden Großstadt, ist das traditionsreiche, familiengeführte Warenhaus Lichtenstein Dreh- und Angelpunkt der Handlung. Man ist bemüht, der anspruchsvollen Kundschaft möglichst jeden Wunsch zu erfüllen. Trotz luxuriöser Ausstattung ist das Lichtenstein auch ein Treffpunkt für weniger gut betuchte Berliner – immerhin kann man herrlich durch die prunkvoll gestalteten Verkaufsräume flanieren, die edlen Waren bestaunen, ein wenig träumen und das einzigartige Flair des Hauses genießen. Hierhin verschlägt es die junge Hedi, die nach dem Tod ihres Vaters mit ihrer Tätigkeit als Ladenmädchen die Haushaltskasse etwas aufbessern möchte. Ihre Mutter akzeptiert dies nur notgedrungen – in Hildes Augen schickt es sich nicht, wenn Frauen arbeiten gehen; viel lieber möchte sie ihre Tochter vorteilhaft verheiratet sehen. Unterstützung findet Hedi allerdings in ihrer besten Freundin, der lebenslustigen Theaterschauspielerin Ella Winkler, die in Sachen Männerbekanntschaften nichts anbrennen lässt und sich aufgrund ihrer Karriereambitionen mit ihrer Familie in Wien überworfen hat. Auch Thea Stübner arbeitet im Lichtenstein; sie ist ausgebildete Schneiderin und wird eine gute Freundin von Hedi. Zunächst schmunzelt sie über die Unbeholfenheit der Neuen, staunt aber bald nicht schlecht über das "Lämmchen": binnen kürzester Zeit erregt Hedis gutes Gespür für Farb- und Stilkombinationen Aufsehen im Haus. Auch Ludwig Lichtenstein, in den Thea schon lange verliebt ist, bemerkt Hedis Talent. Ludwig und Jacob Lichtenstein, die zwei grundverschiedenen, rivalisierenden Söhne der Familie, haben in Bezug auf die Zukunft des Unternehmens denkbar unterschiedliche Vorstellungen. Der kreative Jacob hat ein Faible für die französische Haute Couture und träumt davon, diese Eleganz auch in die Berliner Mode einfließen zu lassen; Lebemann Ludwig hingegen möchte alles beim Alten belassen und sperrt sich gegen Veränderungen jeglicher Art. Dann jedoch werden ihre Unstimmigkeiten zur Nebensächlichkeit, denn ihr geliebtes Warenhaus geht in Flammen auf und kurz darauf bricht der Erste Weltkrieg aus… Bereits die Covergestaltung lässt vermuten, dass es sich um einen historischen Roman mit dem Schwerpunkt Mode handelt. Tatsächlich zieht sich die Leidenschaft für dieses Thema wie ein roter Faden durch das Werk und der bildreiche Schreibstil strotzt nur so vor detailreichen Beschreibungen wunderschöner Kleidungsstücke und Fachbegriffen aus der Modebranche. Erzählt wird abwechselnd aus vier Perspektiven, wobei sich die Autorin jeder Sichtweise mit gleicher Intensität gewidmet hat. Ich habe mich mühelos in die Gedankengänge von Hedi, Ella, Thea und Jacob hineinversetzen können. Speziell die drei Damen habe ich allesamt gleichermaßen ins Herz geschlossen und auch Jacob ist ein enorm sympathischer Charakter. Wir blicken hinter die Kulissen des schillernden Warenhauses, lernen die internen Abläufe kennen und verstehen bald, dass Jacob im Hinblick auf nötige Veränderungen den richtigen Riecher hat – das Lichtenstein, in dem es noch keine Rolltreppe gibt, steht zwar für solide Qualität, doch es wirkt eher antiquiert als modern, aus der Zeit gefallen… und es läuft Gefahr, den Anschluss an die Konkurrenz zu verlieren. Gekonnt gelingt es Marlene Averbeck, das beeindruckende Setting und die Geschichte, die reich an Gefühlen und tiefgründigen Figuren ist, zum Leben zu erwecken. Es ist kein außergewöhnlich temporeicher Erzählstil, vielmehr entwickelt sich die Handlung ganz gemütlich, was ausreichend Zeit lässt für eine umfangreiche Vorstellung der einzelnen Protagonisten. Gerade bei einem Werk mit zahlreichen Figuren finde ich es wichtig, zu möglichst vielen von ihnen einen Bezug aufbauen zu können. Dies ist hier einwandfrei geglückt. Nichtsdestotrotz fehlte mir ein wenig Lebendigkeit, auch das Pariser Flair während des gemeinsamen Ausflugs von Hedi, Jacob und dem Konfektionär Hannes hätte gerne etwas mehr strahlen dürfen. Der zeitgemäße Wortlaut in den Dialogen und die immer wieder eingestreuten Alltäglichkeiten des damaligen Lebens (Monatslöhne, Dresscodes, Moralvorstellungen, …) lassen die Lektüre zu einer interessanten Zeitreise werden und zeugen von der hervorragenden Recherchearbeit der Autorin. Ich habe mich wunderbar unterhalten gefühlt und war entzückt von dem in vielerlei Hinsicht versöhnlichen Ende, das eine Vielzahl an Entwicklungen für die Folgebände ermöglicht. Fazit: Eine klare Leseempfehlung für alle modeinteressierten Fans von historischen Frauenromanen!

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