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mabuerele

Posted on 13.7.2020

„...Großvater erzählte über das Werk und seine Fahrten mit der Bahn durch den angrenzenden Wald. In der Kantine gab es Bier, wenn man danach fragte. Er berichtete über Männer, die über Generationen dort arbeiteten. Söhne. Väter. Großväter...“ Die Welt des Großvaters ist eine vergangene Welt in Neschwitz, einem kleinen Ort im Osten Sachsens. Elf Jahre nach der Wende baut Familie Zschornack ein Haus. Die Mutter ist Krankenschwester, der Vater Elektriker nach einer Umschulung. Philipp, der ältere Sohn, empfindet das als Aufstieg. Nun kann er auf manchen seiner Freunde herabsehen. Doch die Euphorie verschwindet schnell. Der Autor hat einen sehr authentischen Gegenwartsroman geschrieben. Fünfzehn Jahre darf ich die Entwicklung der Familie und insbesondere der Söhne Philipp und Tobias begleiten. Dabei tauche ich ein in eine Welt der Trostlosigkeit. Durch den knappen, fast abgehackten Schriftstil wird dieser Zustand besonders betont. „...Uwe öffnete die Haustür und drehte sich noch einmal um. Die Schuhe in der Hand. Das Licht über dem Eingang. Der Carport blieb dunkel…“ Auch Uwes Schicksal, der von Gelegenheitsarbeiten lebt, wird erzählt. Die Frau ging gen Westen, weil sie dort besser verdiente. Er verlor den Job, fand Trost im Alkohol, hatte keine Kraft, sich aus der Lethargie zu befreien. Gerüchte gehen um, er sie bei der Stasi gewesen. Zerbrochene Familien, ehemalige Fabriken, die zu Ruinen verkommen sind und als Abenteuerspielplätze dienen, Hoffnungslosigkeit und Frust sind Punkte, die immer wieder eine Rolle spielen. Von Urlaub ist keine Rede. Alles geschieht in ihrer kleinen Welt. Und dazu kommt der Neid auf die Sorben. Warum und wieso bleibt im Dunkeln. Nach und nach schlägt Frust bei dem einen in Gewalt und Ausländerfeindlichkeit um, bei dem anderen in Resignation. Das Gefühl des Ausgegrenztseins wird mit zunehmenden Alter deutlicher. Und eines deutet sich in wenigen kurzen Sätzen an. Es sind die jungen Männer, die in Perspektivlosigkeit versinken. „...Mich nervt die ganze Scheiße hier. Immer das Gleiche und alles geht vor die Hunde. Immer schon, als wäre das nie anders gewesen...“ Mädchen gehen aufs Gymnasium und ziehen weg. Mit den aussterbenden Dörfern bricht die Infrastruktur zusammen. „...Die Schulen, die sie schlossen, die Sparkassen und die Arztpraxen. Die Kreise, die sie zusammenlegten, die Gemeinde und Städte. Die Wege wurden länger, die Entfernungen größer...“ Familien zerbrechen. Es ist kein Miteinander, nur ein Nebeneinander. Von der Politik fühlt man sich in Stich gelassen. Das Buch hat mir sehr gut gefallen. Es beschreibt fast sachlich und emotionslos eine Entwicklung, die zur Zeit der Flüchtlingskrise eskalierte. Im Buch ist nicht eine Spur von Aufbruch zu spüren, im Gegenteil. Es liest sich wie eine Abwärtsspirale.

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