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Gabriele Feile

Posted on 11.7.2020

Losing Earth ist ganz klar ein wichtiges Buch Es deckt auf, wie lange die Menschheit schon weiß, dass sie durch die Nutzung von fossilen Energieträgern und den damit verbundenen CO2-Ausstoß ihren eigenen Lebensraum langsam und mittlerweile schneller zerstört. Wir sägen am Ast, auf dem wir sitzen. Und bleiben dabei vermeintlich gelassen und egoistisch und manche ignorieren sogar, dass es eine Säge gibt. Denn sie wissen, was sie tun Nathaniel Rich, der in New Orleans lebt, hat mit Hilfe von zahlreichen Interviews mit Protagonisten die Geschichte des Umgang mit der Klimakatastrophe seit den 1970ern rekonstruiert. Im Epilog am Ende des Buches wird sogar deutlich, dass schon in den 1950er Jahren bekannt war, dass die weitere intensive Nutzung von Öl, Kohle und Gas zu irreversiblen Schäden führt. Namhafte Medien berichteten, ein bekannter Film (The Unchained Goddess - Die entfesselte Göttin von Frank Capra) wurde über Jahrzehnte im Naturkundeunterricht in USA gezeigt. Alle wussten also früh Bescheid, und wissen es auch heute noch. Doch in Wahrheit wurde nichts getan. In der Wirtschaft nennt man so etwas Insolvenzverschleppung. Die Geschichte Das Ergebnis der Interviews mit den Protagonisten, zu denen auch Al Gore zählte, ist ein schlankes Buch auf knapp 232 Seiten, das aus 3 Teilen plus Prolog und Epilog besteht. Chronologisch erzählt der Autor wie Klimaforscher, Aktivisten, Ökonomen, Manager und Politiker sich dem Thema annahmen - oder auch nicht. Bis die erste Weltklimakonferenz 1989 in Noordwijk in den Niederlanden stattfand, die mit keinem verbindlichen Beschluss endete, weil der amerikanische Vertreter diesen boykottierte, brauchte es viele Anhörungen, Konferenzen und Pressemitteilungen. Und viele Engagierte. Ein amerikanisches Problem? Was mir beim Lesen auffiel war, dass Rich aus einer rein amerikanischen Sicht schreibt. Man könnte den Eindruck gewinnen, dass die Amerikaner als einzige Nation das Thema auf der Agenda hatten und ernst nahmen. Der Club of Rome, eine europäische Initiative, der 1972 seinen Bericht „Grenzen des Wachstums“ vorstellte, wird nur ein einziges Mal im Buch genannt. Andere Europäer muss man mit der Lupe suchen, Margaret Thatcher wird einmal erwähnt, vereinzelt liest man europäisch klingende Namen und im Epilog wird Papst Franziskus zitiert (und der ist bekanntlich Argentinier) sowie der so genannte „grüne Patriarch“ Bartholomaios I., der geistliche Führer der orthodoxen Christen. Männerwirtschaft Wer auch fast gar nicht vorkommt sind Frauen. Abgesehen von der bereits erwähnten Margaret Thatcher und einer temporären Leiterin der EPA, sind die anderen erwähnten Frauen die Gattinnen von Protagonisten, die nur in vereinzelten Nebensätzen auftauchen. Spiegelt das nun einfach die amerikanische Realität in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts wider oder ist das ein weiterer Skandal neben der Klimakatastrophe: die offensichtliche Ignoranz von rund 50 % der Weltbevölkerung? Welche Rolle spielten Frauen bei all den Verhandlungen und Aktivitäten? Und wenn sie keine relevante Rolle spielten, warum nicht? Wie wäre die Situation heute, wenn sich mehr Frauen für den Erhalt unseres Planeten und die konkrete Begrenzung der Erderwärmung eingesetzt hätten? Keine Fridays For Future Greta Thunberg und die Fridays For Future Bewegung werden übrigens gar nicht erwähnt. Dafür schreibt Rich über amerikanische Studenten, die sich für den New Green Deal einsetzen. U.a. mit einem Sit-in vor Nancy Pelosis Büro (noch eine Frau) mit hunderten von Leuten im Jahr 2018. Es klingt so, als ob dies der Ursprung der Bewegung von jungen Menschen war, was für die USA vielleicht sogar zutrifft. Nichtsdestotrotz gab Greta Thunberg schon im selben Jahr Presseinterviews, u.a. für The New Yorker, hatte also die Bühne schon betreten - und mit ihr eine wachsende Zahl von Unterstützer:innen weltweit. Mein Fazit Alles in allem erscheint mir das Buch relevant zu lesen, vor allem für amerikanische Leser. Denn es wird klar, wie effektiv die dortige Ölindustrie den Klimaschutz bekämpft und offizielle Zweifler mit Geld belohnt. Dennoch empfinde ich das Buch als nicht objektiv, vor allem angesichts der Tatsache, dass der aktuelle amerikanische Präsident Donald Trump ganz klar ein Klimakatastrophen-Leugner ist und alle vorangegangenen Erfolge, mögen sie rückblickend auch noch so unbedeutend gewesen sein, zunichte macht.

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