Profilbild von gwyn

gwyn

Posted on 14.5.2020

Der Anfang: «Liebster Kapia, geborener Koloman, gestern bin ich neun geworden. Meine Eltern haben zu meinen Ehren ein Fest veranstaltet, zu dem niemand kam. Also außer der Familie natürlich. ... Liebster Kapia, geborener Koloman, gestern bin ich neun geworden. Meine Eltern haben zu meinen Ehren ein Fest veranstaltet, zu dem niemand kam. Also außer der Familie natürlich. » Eine Schelmengeschichte über eine ungleiche Jungenfreundschaft an der ungarisch-slowakischen Grenze. Leviathan und Kapia, der eine ein dicker, schüchterner Poet – der andere ein dreister Raufbold, unerbittlich gegenüber Mensch und Tier. Lausbubengeschichten und Dorfgeschichte in einem, reale Erinnerungen an das einstige Dorfleben vermischt mit alten Geschichten und Mythen – Träumereien eines Jungen, verbunden mit der Gegenwart – Fiktion und Wirklichkeit vermischen sich – eben eine Schelmengeschichte. Die Nostalgie des Vergangenen steht gleichzeitig konträr zu einem harten Leben der Entbehrung, ein Leben voller Brutalität – zumindest as heutiger Sicht. «Als ich geboren wurde, zersprangen im Kreißsaal alle Glühbirnen. Angeblich hatte ich ein dermaßen starkes Charisma. Auf dem Boden bildeten sich grässliche Blutmuster, und über Lošonc brach ein neuer Tag herein. Seitdem sind in unserer Familie nur noch Kerzen in Gebrauch.» Der Icherzähler, ein noch unbedarfter Junge, wechselt sich ab mit dem erwachsenen Blick eines auktorialen Erzählers. Man hat es nicht leicht in diesem versoffenen Dorf. Schrullige Typen, dummdreiste, abergläubige, boshafte, barbarische und warmherzige Menschen – eine geschichtsträchtige Erzählung, aber auch keine Liebesgeschichten und ein erster Kuss, der alles verändern wird. Eine Schachtelerzählung, in der einzelne Geschichten versteckt sind, Einzelschicksale. «Ein letztes Mal urinierte ich in die Bucht, wo tschechische Familien schwimmen lernten. Es war ein schöner Ausflug, irgendwann schreibe ich darüber eine Erzählung.» Leviathan hat immer ein Schreibheft dabei, berichtet von den Streichen des Duos, beobachtet die Menschen, das Dorfgeschehen, notiert die Geschichten der Alten. Irgendwann wird er Schriftsteller sein und einen Roman schreiben, so sein Plan. Und Kapia bestärkt ihn dabei, bewundert sein Talent, denn seins liegt eher in den Muskeln. Dieser Roman ist zusammengestellt wie die Hefte: Einzelne Geschichten, Ereignisse, aneinandergereiht wie Perlen auf einer Schnur, der Verschluss bringt am Ende alles zusammen. Hier ist jede Perle von perlmutternem Glanz, jede für sich. «Jemand hat mir einmal gesagt, die Familie sei wie ein Baum auf einem Friedhof. Er beschützt diejenigen, die jemanden verloren haben. Er ist voller Geschichten, Schmerz und winziger Wunder. Wenn er sich zu sehr ausbreitet und die Hinterbliebenen daran hindert, ihre Nächsten zu beweinen, wird er zurückgestutzt. Meist die Äste, die krank oder zu neugierig sind. Seine Früchte isst man nicht. Sie reifen, verselbstständigen sich und sterben stolz. Er wächst in die Höhe und in die Tiefe.» Peter Balko schreibt mit ungeheuer Wortkraft; Wahres und Fiktives vermischen sich unmerklich, poetisch, geistvoll, verspielt und witzig; eine Sprache, die hineinzieht in die Dorfwelt an der ungarisch-slowakischen Grenze, die gleichzeitig so abstoßend wie liebenswert wirkt. Es ist das Erstlingswerk des Autors. Schon darum: Hut ab – wir weden noch viel von Peter Balko hören, da bin ich mir sicher. Peter Balko, geboren 1988 in Lučenec/Lošonc, der sich bereits als Drehbuchautor einen Namen gemacht hat, erhielt für sein Romandebüt zahlreiche Preise und ist einer der meistbeachteten slowakischen Autoren der Gegenwart.

zurück nach oben