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gwyn

Posted on 31.3.2020

Der erste Satz: «In der Scheibe des Schaufensters kann ich den Mann sehen, der mich beschattet.» Fast zehn Jahre arbeitete die heute 39-Jährige für die CIA, den amerikanischen Auslandsgeheimdienst. Irgendwann fliegt jeder einmal auf, der im operativen Bereich arbeitet. Und dann ist man für immer verbrannt. Darum arbeiten in diesen Jobs nur ziemlich junge Leute, erklärt die Autorin: Von der Analystin zur Geheimdienstagentin in der Terrorismusabwehr. Zu Beginn erzählt die Autorin etwas über ihren Lebenslauf. Aufgewachsen in einer gut situieren Familie, immer auch Achse. Die Familie zieht häufig um, zwischen den USA und England hin und her und zwischendurch in andere Teile der Welt. Amaryllis wechselt die Schulen wie die Unterwäsche. Als sie acht Jahre alt ist, wird die gesamte Familie ihrer besten Freudin von libyschen Terroristen im Flugzeug über dem schottischen Lockerbie in die Luft gesprengt. Ein einschneidendes Erlebnis für Amaryllis. Fremde Länder, fremde Menschen, fremde Sprachen, sie ist das Vagabundieren gewohnt. Nach dem Collegeabschluss engagiert sie sich, durch ein Referat inspiriert, als Menschenrechtsaktivisten in Thailand und Birma. In Oxford studierte sie internationale Politik und sie besuchte in den Ferien in Washington ihre Familie, als sie im TV mit ansah, wie zwei Flugzeuge ins World Trade Center in New York krachten. Gleich darauf eins ins Pentagon, nahe dem Elternhaus und dem Kindergarten, in dem sich ihre Schwestern befanden. Der Journalist Daniel Pearl hatte ihr Tipps für ihre Essays gegeben, ein Mann, den sie sehr verehrte. Er wurde von Terroristen enthaupt. Und so entschied sie sich an der Georgetown University in Washington für einen Mastergang im Fach Konflikt- und Terrorismusforschung. Für ihre Master-Arbeit sammelte sie Daten von sämtlichen Terrorangriffen der letzten 200 Jahre und entwickelte dazu einen Algorithmus, mit dessen Hilfe sie die Wahrscheinlichkeit von terroristischen Anschlägen in der nahen Zukunft bestimmte. «Wenn sich das Verhältnis von Shisha-Bars zu Koranschulen in einer Gegend zu schnell verändert, kann das ein Zeichen für eine tiefgreifende soziale Verschiebung sein, von einer offenen und liberalen zu einer religiös konservativen Gesellschaft – oder umgekehrt.» Diese Lebensgeschichte ist wichtig, um zu verstehen, warum Amaryllis Fox, damals keine 20 Jahre alt, sich darauf einlässt, bei der CIA einen Eignungstest zu absolvieren. Bis hierhin ist die Autorin für mich glaubhaft. Ab dieser Zeit tendiert sie zu einer unzuverlässigen Erzählerin. Sie durfte nichts schreiben, was die CIA nicht legitimiert hat – da bin ich mir ganz sicher. Das heißt, der Leser wird an der Oberfläche herumgeführt. Interessant ist, wie die Agents ausgebildet werden, die vielen Tests zwischendurch, bei der immer eine Reihe von Kandidaten durchfallen. Aber alles, was hier beschrieben wird, ist weitreichend bekannt. Im Halbsatz wird erwähnt, man werde dazu ausgebildet, Verhöre und Folter zu überstehen, ohne Geheimnisse zu verraten. An allen Stellen, wo es interessant werden könnte, wo der Leser es genau wissen möchten, verbleiben große Leerstellen. Wie es wirklich abläuft im Camp, bleibt verborgen. »Ich bin hier, um einen unmittelbar bevorstehenden Anschlag zu verhindern. Einen, der Kinder töten wird. Ich bin allein und einsatzbereit in dem Land, in dem mein Kollege entführt und geköpft wurde. Jede Stunde, die ich abwarte, ist eine Stunde mehr, in der etwas fürchterlich schiefgehen kann – für den Informanten, der meinen Aufenthaltsort kennt, für die Quelle, die mir helfen soll, den Anschlag abzuwenden, für uns, wenn die Bombe vielleicht doch hochgeht.« Zunächst arbeitet Amaryllis als Analystin, wertet Daten aus. Das Buch ist bereits über die Hälfte fortgeschritten, als die Autorin für den ersten operativen Einsatz bereit ist. Ich mag Sachbücher, soweit ich mich auf den Wahrheitsgehalt verlassen kann. Ab der Mitte haben wir es hier aber leider mit Räuberpistolen zu tun. Spannend, natürlich, aber nicht mehr glaubhaft. Orte, Personen usw. mussten für dieses Buch verdeckt werden, nicht wiedererkennbar. Apple verfilmt derzeit die Geschichte als Serie, Sendestart in 2020. Amaryllis Fox wird von Brie Larson gespielt. Die Kollegen von Amaryllis Fox kritisieren, die reißerische Darstellung der Einsätze, was sie in der Realität nicht seien. Und sie beteuern, niemand würde allein in den Einsatz gehen dürfen, wie hier beschrieben, das sei großer Blödsinn. Insofern habe ich die Einsatzgeschichten als mehr oder weniger erfunden betrachtet. Was mir persönlich fehlte, war die Auseinandersetzung und Kritik am gesamten System, hier kommt fast gar nichts. Der Agent ist einsam, weil er mit niemandem über seinen Job reden kann, klingt immer wieder durch. Auch nichts Neues. Ich habe mich die ganze Zeit gefragt, was Amaryllis Fox mit diesem Buch bezweckt – außer Geld verdienen. Es beginnt schon mit der teilweise blumigen Sprache, die an erste Kurse im Kreative Writing erinnern – dann wieder schlägt der Schreibstil über in Sachbuchcharakter – oder in einen Actionsound, drehbuchreif. Amaryllis Fox findet nicht den Sound für ihre Geschichte, die Story hat auch keine Grundtemperatur, die Ezählhaltung ist unklar, alles wirkt am Ende zusammengeklatscht, unglaubwürdig und unreflektiert. Eigenlob springt auf jeder Seite entgegen. Am Ende weiß ich nicht, was ich vom Anfang glauben soll, dort, wo ich der Erzählung noch getraut habe. Für mich ein Buch, das die Welt nicht gebraucht hat, weil es etwas vorgibt, das es nicht erfüllen kann. Man kann das Buch gut lesen, klar doch, zur Unterhaltung – aber als Sachbuch oder angebliche Memoiren ist es für mich durchgefallen. Amaryllis Fox wurde 1980 als Tochter einer englischen Schauspielerin und eines US - amerikanischen Managers in New York geboren. Fox studierte in Oxford und entwickelte an der Georgetown University einen Algorithmus zur Vorhersage von terroristischen Anschlägen. Als Undercover-Agentin wurde sie von der CIA nach China geschickt, getarnt als Händlerin fernöstlicher Kunstwerke. Von dort aus hatte sie Einsätze auf der ganzen Welt. Seit dem Weggang von der CIA arbeitet Fox als Friedensaktivistin, sie engagiert sich für NGOs und hält weltweit Vorträge zum Thema Friedenswahrung. Sie lebt mit ihrer Familie in San Francisco.

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