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Simone Scamander

Posted on 1.2.2020

Worum geht's? In ferner Zukunft lebt Neva, die Tochter eines Ministers, in Heimatland, einem von einer riesigen Kuppel - der Protektosphäre - abgeschirmten Bereich auf der Erde. Niemand weiß, was sich außerhalb befindet. Die Regierung behauptet, ein Leben ist dort aufgrund der verseuchten Luft nicht möglich. Damit wollen sich Neva und ihre beste Freundin Sanna nicht abspeisen lassen. Sie haben keine Lust, nach den Regeln Heimatlands zu leben. Sie wollen sich nicht vorschreiben lassen, welchen Beruf sie ausüben, wann sie heiraten und wann sie Kinder kriegen müssen! Besonders in Sachen Fortpflanzung ist die Regierung besonders streng: So früh und so viele Kinder wie möglich, denn Heimatland lebt von der Anzahl seiner Bürger. Vor allem will Neva aber Antworten. Was befindet sich wirklich außerhalb der Kuppel? Was ist mir ihrer geliebten Großmutter geschehen, die - wie viele andere - urplötzlich verschwunden und aus dem Gedächtnis aller ausgelöscht zu sein scheint? Zusammen mit Sanna und anderen Freunden plant sie einen großen Aufstand. Als Tochter des Ministers bringt Neva damit nicht nur sich selbst in große Schwierigkeiten. Zu allem Überfluss verliebt sie sich außerdem in den Sannas Freund Braydon, obwohl doch schon seit Ewigkeiten klar ist, dass sie zu Ethan gehört. Kaufgrund: Schon seit ich Aldous Huxleys "Schöne neue Welt" gelesen habe, bin ich ein absoluter Fan von Dystopien. Umso mehr freue ich mich über diesen aufkommenden Trend! Von "Cassia & Ky - Die Auswahl" war ich genauso begeistert, deshalb war ganz klar: "Neva" muss her! Meine Meinung: "Neva" reiht sich mit der dystopischen Thematik vollkommen in den neuen Trend ein; typische Motive wie die unterdrückte Freiheit, Inzucht, das vorherbestimmte Leben oder auch das Verschwindenlassen derer, die gegen die Obrigkeiten sprechen, werden auch in Sara Grants Roman großartig umgesetzt und verarbeitet. Jedem Fan von Ally Condies Reihe um "Cassia & Ky" wird dieses Buch einige tolle Lesestunden verschaffen. Trotz des gleichen Oberthemas sollte Nevas Geschichte nicht mit Cassias verglichen werden, denn sonst weisen sie kaum Gemeinsamkeiten auf. "Neva" ist erwachsener, schockierender, extremer. Im Laufe der Handlung gelingt es Neva immer mehr, hinter die Kulissen des Regimes zu blicken, das sich selbst nach außen hin als "sicher" und "beschützend"("Protekto"sphäre) bezeichnet. Grant hat viele innovative Schrecken ihrem Buch verwoben, die sprachlos machen. Durch die grausame Ereignisse, die sich zum Ende hin überschlagen, lässt einen "Neva" auch nach dem Lesen nicht so schnell wieder los und regt zum Nachdenken an. Neva(="Schnee") ist eine mutige Protagonistin, die im Gegensatz zu Cassia aus "Die Auswahl" von Anfang an versucht, um ihre Freiheit zu kämpfen. Sie muss nicht erst verstehen, dass das System, indem sie lebt, nicht richtig ist und die Individualität zerstört. Bei Cassia hat dies einen entscheidenden Teil ihres Wandlungsprozesses ausgemacht. Das heißt jedoch nicht, dass Neva sich während der Geschichte nicht weiterentwickelt; im Gegenteil: Sie wächst sehr über sich hinaus und stellt sich Gefahren, vor denen sie am liebsten zurückschrecken würde. Auch die Nebencharaktere bleiben nicht oberflächlich und überraschen stets aufs Neue. Es gibt keine Person, die einen nicht mindestens einmal ins Staunen versetzt. Diese Unvorhersehbarkeit hat mir super gut gefallen und mir während des Lesens immer wieder verdeutlicht, dass ich das Buch nicht aus der Hand legen darf. Schließlich könnte sich auf der nächsten Seite entweder die Lösung befinden, der rettende Helfer, oder ein Verräter, der Nevas Schicksal besiegelt. "Neva" bietet die unterschiedlichsten Motive, die der Geschichte eine gewisse Tiefgründigkeit verleihen. So zum Beispiel Nevas Schneeflocke, ihr Kenn-Zeichen. Jeder rebellische Teenager sucht sich ein eigenes Zeichen aus, das er anschließend auf seinem Körper verewigt, um sich ein Stückchen Individualität zu schaffen. In einer Gesellschaft, in der fast alle Menschen durch die inzestiösen Verhältnisse gleich aussehen, ist dies auch bitter nötig. Grants Schreibstil hat mir sehr gut gefallen. Er lässt sich leicht lesen, wodurch der Lesefluss - der durch die spannende Handlung ohnehin sehr groß ist - nochmals verstärkt wird. Alles in allem hat es mich sogar so sehr in den Bann gezogen, dass ich alle 352 Seiten in einem Rutsch gelesen habe und trotz der vielen Lesestunden noch immer dachte: "Was? Es ist schon vorbei?". Der Handlungsverlauf ist immer wieder überraschend. Zu Beginn war ich etwas verwirrt; ich hatte den Eindruck, als würde es sich um einen vorwegnehmenden Prolog handeln, durch den der Leser erfährt, wie Nevas Kampf um Freiheit ausgeht. Gerade entwickelte sich in mir ein mulmiges Gefühl (solche Prologe nehmen einem einfach die komplette Spannung!), als ich erkannte, dass man mit dem ersten Satz des Buches direkt in das Geschehen hineingeworfen wird und Neva und Sanna bei ihren Planungen bezüglich der ersten Demonstrationen beisteht. Anfangs erscheint es dementsprechend etwas schwierig, sich in die Geschichte hineinzufinden, da man die Umstände und Hintergründe nicht kennt. Diese werden aber, zumindest in ihren Grundzügen, sehr schnell erklärt, sodass man sich auf das kommende Geschehen konzentrieren kann. Stückchenweise werden dann immer mehr Informationen preisgegeben, jedoch niemals zu früh. Dadurch ist die Spannung bis zum Ende garantiert. Das Ende ist der Höhepunkt der spannenden Handlung. Man versucht verzweifelt mit Neva nach einer Lösung zu suchen, denn bis zur vorletzten Seite weiß man nicht, wie und ob sie es schaffen wird. Ständig tauchen neue Hindernisse auf, aber auch alte, besiegt geglaubte Probleme legen erneut Steine in Nevas Fluchtweg. Kaum hat man den allerletzten Satz gelesen, so hinterlässt der Roman doch ein etwas unbefriedigendes Gefühl. Es handelt sich zwar nicht um einen Cliffhanger, allerdings bleiben doch einige wichtige Fragen. Diese bieten eine perfekte Grundlage, um sich selbst Gedanken darum zu machen. Trotzdem hoffe ich sehr, dass es eine Fortsetzung geben wird! Cover: Das Cover finde ich trotz des Mädchens darauf klasse. Das Gesicht ist durch die Haare verdeckt, sodass man sich noch gut selbst vorstellen kann, wie Neva und fast die gesamte weibliche Bevölkerung Heimatlands aussieht. Außerdem ist eine Schneeflocke darauf zu sehen, die im Roman eine bedeutende Rolle einnimmt. Fazit: Ein klasse Roman, der mich sprachlos gemacht hat. Lange hat mich kein Buch mehr gleichzeitig so fasziniert, schockiert, begeistert und frustriert. Wahnsinn! Ich vergebe 5 Lurche.

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