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lermann

Posted on 13.3.2019

“Menschen mit einem raschen Verstand oder überdurchschnittlicher Intelligenz wenden sich weniger häufig der Literatur zu. Denn das Schreiben von Romanen – wie das Erzählen von Geschichten überhaupt – findet im gemächlichen Tempo, sozusagen in einem niedrigen Gang statt.“ Damit legt Haruki Murakami in seiner Beinahe-Autobiographie “Von Beruf Schriftsteller” gleich zu Beginn die Latte niedrig. Doch danach geht es steil nach oben für alle, die sich Murakami zum Vorbild oder als Inspiration nehmen: “Einen Text verfassen kann sein wie ein Musikstück spielen” (oder zu schreiben). Seine Suche nach einer einfachen Sprache, seine Abneigung gegenüber einer Schreibe, die zu sehr auf Witz und Effekt zielt als auf die Erzählung, auch das sehr sympathisch. Als Schriftsteller macht Murakami vieles anders als man es von den heutigen Schreibratgebern empfohlen bekommt. So sei es seiner Meinung nach wichtiger, zu wissen, „was Sie auf keinen Fall wollen“, anstatt einen genauen Plan zu haben, über was man schreiben will. Die Frage nach dem eigenen Wollen beinhaltet auch immer „eine gewisse Schwere“ unter der die „Beweglichkeit leidet“ und „Freiheit verloren geht. „Sobald das geschieht, verliert das Geschriebene an Lebendigkeit. Und ein Text ohne Leben vermag den Leser – sowie den Autor – nicht zu fesseln.“ Das sitzt. Murakami ist kein Freund von Notizbüchern und Autoren-Zettelwirtschaft. Genau wie Stephen King ist er der Meinung, dass die guten Ideen sowieso hängen bleiben oder sich durchsetzen: „Das gespeicherte Rohmaterial lässt er in seinem Inneren arbeiten.“ Als Bild zitiert Murakami (natürlich) Franz Kafka oder vielmehr eine Kulisse aus dem sehr empfehlenswerten Kafka-Film mit Jeremy Irons herbei. Murakami trägt in seinem Kopf ein Archiv mit sich herum, das vollgestopft ist mit Erinnerungen, auf das er zugreifen kann, sobald er anfängt eine Geschichte zu aufzuschreiben. Dann werden einzelne Schubladen aufgerissen und irgendwann stehen ganz viele davon kreuz und quer offen. Das ist das kreative Chaos von dem so viele denken, man findet es nur auf Schreibtischen. Schriftsteller sind für Murakami Menschen, die einen Blick für Momente haben wie für „magische und geheimnisvolle Rohdiamanten, die darauf warten, geschliffen zu werden.“ Sein Arbeitsethos ist vielen jungen Schriftstellern von heute vielleicht suspekt. Jeden Tag schreibt er „zehn Seiten wie eine Stechuhr“, gerade bei den längeren Projekten, bei denen für ihn Regelmäßigkeit eine große Rolle spielt.“ Macht man eine Pause, „dann entsteht keine Regelmäßigkeit.“ Arbeitet so ein Künstler? An dieser Stelle wird Murakami leidenschaftlich: „… warum muss ein Schriftsteller überhaupt ein Künstler sein? … das hat niemand bestimmt. Ein Schriftsteller ist vor allem anderen ein freier Mensch und das schließt ein, dass er auf die Weise schreibt, die ihm gefällt.” Auch das sitzt. Kunst muss sich nicht erklären. Dass Murakami sich trotzdem auf die Finger schauen lässt von uns, dafür kann man dankbar sein. Die Kapitel des Buches hat er aus einem Vortrag und verschiedenen Artikeln für eine literarische Zeitschrift zusammengestellt. Zwischendurch erklärt er uns, wie die japanische Gesellschaft funktioniert, warum er dort nicht unbedingt nur Freunde hat, was ihn am japanischen Schulsystem stört und wie seine Arbeit mit Verlagen und seinem Agenten als Schriftsteller und Übersetzer abläuft. Wir erfahren, an welchem Moment er sich als junger Mann dazu entschloss seinen ersten Roman zu schreiben, von dem er von Anfang an eine fest umrissene Vorstellung hatte, auch wenn er sich darüber im Klaren war, dass er das Werkzeug noch nicht beherrschte. Es wird viel darüber gesprochen, dass Murakami schon längst den Nobelpreis hätte bekommen sollen. Eine müßige Diskussion, die sich jedes Jahr wiederholt und sich im Grunde doch mehr um den Nobelpreis dreht als um den Ausgezeichneten. Murakami ist auch so in Deutschland bereits ein Autor, dessen Bücher leider auch mal ungelesen in Billyregalen darauf warten, endlich gelesen zu werden. Auf der anderen Seite hat er eine treue Fanbase auf der ganzen Welt. Was sollte ein solcher Preis daran noch viel ändern? Sehr geschickt lässt er gleich in einer der ersten Kapitel des Buches Raymond Chandler, dessen Werk er für das japanisch Publikum übersetzt hat, sprechen: „Sie geben den Nobelpreis zu vielen zweitklassigen Autoren, als dass ich mir etwas daraus machen würde.“

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