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Yvonne Franke

Posted on 20.9.2022

Man kann sie hören, Werner Herzogs berühmte ruhige, eindringliche und bayrisch gefärbte Erzählstimme, wenn man seine Autobiografie liest. Diese Stimme, die jeden Wahnsinn einzuordnen vermag. Der Regisseur unmöglich zu realisierender Filmwunder wie "Fitzcarraldo", erzählt sein Leben als eine Art taumelnder Archivar. Nicht immer chronologisch sondern assoziativ, wandelt er von Begegnungen, Reisen und Filmdrehs zu Kindheitserinnerungen, findet dabei Briefe seiner Urgroßmutter und lückenhafte eigene Aufzeichnungen, die er einfach so, als Fragmente, mit uns teilt. Und wie nebenbei beginnt man zu begreifen, warum dieser Mann so dringend angezogen wird von Vulkanausbrüchen, warum er immer da sein will, wo es wehtut. In seiner archaischen Kindheit im oberbayrischen Sachrang, erzählt er, entdeckte er die Welt ganz ohne die Erläuterungen der Erwachsenen. An jedem Nachmittag waren Herzog und sein älterer Bruder Tilbert für vier Stunden auf sich allein gestellt in der Natur unterwegs. "Ich erinnere mich an ein totes Kalb, das vom benachbarten Sturmhof stammte und am Waldrand im Schnee lag. Mindestens sechs Füchse zerrten an dem Kadaver, und als ich hinging, flohen sie. Als mein Bruder um das tote Kalb herumlief, floh auf einmal ein Fuchs aus dem Inneren der Bauchhöhle ins Freie, duckte sich und sprang in geduckter Haltung da von. Füchse haben dieses Geduckte in ihrem Lauf, wenn sie überrascht werden." Es ist, als würde er immer und immer wieder nach diesen puren Erfahrungen suchen, die die Welt zu einem starken Bild verdichten. Und nach Menschen, die diese Bilder mittransportieren. Natürlich taucht auch Kinski auf. Allerdings, dieser Veranstaltung angemessen, nur in einer Nebenrolle. Wie immer, wenn Herzog erzählt, muss man sich ein wenig schützen vor der Wucht, der Radikalität der Gefühle, die er heraufbeschwört, aber mit jedem Kapitel hat man etwas gewonnen.

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