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Buchdoktor

Posted on 2.9.2022

Die beiden befreundeten Paare lebten in Reykjavik und suchten ein cooles Event, mit dem sie Aufmerksamkeit in den Sozialen Medien wecken könnten. Ihr Führer Haukur würde sich später damit herausreden können, dass die Vier ihn praktisch zur Tour ins verschneite Naturschutzgebiet gedrängt hatten. Er würde sie an den süd-östlichen Rand des Vatnajökull-Gebiets fahren, sie würden einen Streckenabschnitt zu Fuß marschieren und in einer unbenutzten Hütte übernachten. Am nächsten Morgen würde er allein weitergehen, am Ziel einen Messwert checken und mit ihnen gemeinsam zurückkehren. Wenn ein Führer mit einer untrainierten Gruppe in menschenleerer Landschaft unterwegs ist, kann das nur schief gehen. Falls ein Gruppenmitglied von den anderen getrennt würde, hätte es in der eisigen Kälte kaum Überlebenschancen. Als die Gruppe im nahenden Sturm als vermisst gemeldet wird, stößt Jóhanna aus Höfn zur Suchmannschaft Freiwilliger, die aus dem gesamten Land eintreffen. Die Spuren der Gruppe im Hochland geben Ermittlern und Suchmannschaft jedoch Rätsel auf; denn die gefunden Kleidungsstücke und Handys lassen sich den Personen nicht zuordnen. An anderer Stelle fällt an seinem Arbeitsplatz in der Radarstation Stokksnes Hjörvar damit auf, dass er freiwillig alle Sonderschichten übernimmt und außer dem zugelaufenen Stationskater kaum Kontakte zu haben scheint. Ihm ist bewusst, dass er auf Außenstehende alles andere als normal wirkt. In einem dritten Handlungsstrang wird Kolbeinn damit konfrontiert, dass er eine jüngere Schwester gehabt haben muss, deren Existenz er offenbar völlig verdrängt hat. Als die Käufer seines Elternhauses ihm einen alten Kinderschuh bringen, den sie darin gefunden haben, wird es für Kolbeinn Zeit, Salvörs Schicksal aufzuklären. Figuren in mehreren Handlungssträngen balancieren am Rand des Zusammenbruchs, weil vor ihrer Tür und ihrem Zelteingang eine Stimme zu hören, aber niemals eine Person zu entdecken ist. Warum diese Stimme an verschiedenen Orten auftaucht und wie sie die Verbindung zwischen den Figuren erklären könnte, das liest sich spannend und in der mondlosen Stille des verschneiten Hochlands ausgesprochen beunruhigend. Yrsa Sigurdardottir zeigt sich als Meisterin mysteriöser Vorkommnisse, indem sie nur stückweise damit herausrückt, was ihre Figuren miteinander verbindet. In einem kleinen Land ist zu erwarten, dass ihre Wege sich schon einmal gekreuzt haben. Die losen Fäden fügt die Autorin schließlich überzeugend zu einem dichten Gewebe zusammen aus den Biografien von mindestens 8 Hauptpersonen, winterlicher Atmosphäre und einer Portion Übersinnlichem. Da bei Abenteuern in entlegenen Gegenden für mich die Landschaft in Form eines Kartenausschnitts der halbe Spaß ist, gebe ich der nackten Geschichte des abgespeckten Lesexemplars knappe 4 Sterne, falls die im Handel erhältlichen Exemplare als Bonusmaterial eine Landkarte enthalten, 4 1/2 Sterne.

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