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evaczyk

Posted on 26.5.2022

Kinderwunsch und komplizierte Beziehungen Die New Yorkerin Reese ist Mitte 30 und spürt ihre biologische Uhr ticken. In einem Fitnessclub arbeitet sie in der Kinderbetreuung, und wenn sie ein Baby im Arm hält, spürt sie die große Sehnsucht danach, Mutter zu sein. Problematisch ist das nicht nur wegen eines fehlenden Kindsvaters. Als Transfrau hat Reese anders als Cis-Frauen nicht die Möglichkeit, etwa über den Weg einer Samenspende ihren Kinderwunsch zu erfüllen. Bis ausgerechnet eine Beziehung aus der Vergangenheit eine Lösung aufzeigt. Kinderwunsch und komplizierte Beziehungen, Fragen von Identität und Selbstverständnis prägen den Roman von "Detransition, Baby" von Torrey Peters, die selbst trans ist. Denn Reese war mehrere Jahre in einer lesbischen Beziehung mit Transfrau Amy - bis Amy ein Detransition machte, um äußerlich als Mann zu leben, auch wenn Ames selbst nicht sicher ist, ob er tatsächlich ein Cis-Mann ist. Doch das trans Leben war zu hart, um es dauerhaft zu leben. Obwohl Ames glaubte, nach all den Jahren mit Hormonen nicht mehr zeugungsfähig zu sein, ist nun seine Freundin (und gleichzeitige Chefin) Katrina nun schwanger von ihm. Die geschiedene Frau macht klar - sie will kein Kind alleine aufziehen, sondern in einer Familie, mit ihm als Vater. Doch kann Ames Vater sein? Die Gender-Frage wird hier nicht klar beantwortet. Er geht als Mann durch, so wie Katrina, deren Mutter Chinesin ist, als "weiß" durchgeht. "Ich weiß nicht ob ich ein Vater sein kann, aber ich kann ein Elternteil sein", sagt Ames an einer Stelle. Er will Reese in die Gleichung einbringen - als Mutter in einem queeren Familienmodell. Und Überraschung: Yuppie Katrinaist recht angetan von der Idee der ugewöhnlichen Familie, liebäugelt mit einem Hauch von Queer. Doch nur im Märchen leben alle glücklich bis ans Ende ihrer Tage. Es gibt Komplikationen, Enthüllungen, Zerwürfnisse, ja die Frage, ob Katrina überhaupt das Kind haben will. Wie die ungewöhnliche Menage a trois ausgeht, das soll hier nicht verraten werden. Torrey Peters lebt wie Reese in Brooklyn, bringt die eigenen Erfahrungen der dort lebenden Transfrauen ein und schafft es, unterhaltsam und ohne pädagogischen Zeigefinger von den Möglichkeiten und Grenzen für Transfraiuen, psychischen Problemen als Langzeitfolgen des Wegs zum eigenen Selbst in einem schwierigen Umfeld, Hormonschwankungen in der Transition und danach und den Grenzen zwischen Communities zu schreiben - was trennt Transfrauen und Cis-Frauen, was trennt weiße Transfrauen und Transfrauen aus schwarzen oder hispanischen Familien, deren Outing noch wesentlich häufiger zum Bruch mit der Herkunftsfamilie führte. Dass Transfrauen of Color eher durch Gewalt frühzeitig zu Tode kommen, ihre weißen Schwestern hingegen durch Selbstmord, ist eine der Be- und Zuschreibungen. In Interviews hat Torrey Peters gesagt, sie wolle nicht pädagogisieren, den Ton vermeiden, der allzu oft bei Büchern über Rassismus angeschlagen werde und dann zu einem Leseprozess wie einst in der Schule führe: Gelesen wird nicht aus Freude und Interesse, sondern als Pflichtaufgabe. Die Gefahr besteht bei "Detransition, Baby" nicht. Reese, Katrina und Ames sind weit entfernt von Perfektionismus. Aber gerade weil sie keinem Barbie oder Ken-Schema entsprechen, sind sie nachvollziehbar und glaubwürdig, ganz gleich welche Genderidentität oder sexuelle Orientierung die Leser*innen haben. Das macht ihren Roman buchstäblich zu einem inklusiven Buch für alle.

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