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Buchdoktor

Posted on 21.1.2022

Das Hainish-Universum „Das Wort für Welt ist Wald“ und „Die Erzähler“ sind Teil des 8-teiligen Hainish-Zyklus, der im alternativen Ekumen-Universum spielt und von dem zuerst "Rocannons Welt" erschien. Von den Hainish dieser alternativen Welt stammen die Menschen aller Planeten ab. Besiedelt ist u. a. auch die Erde (Terra). -- Büchertreff listet und nummeriert 8 Romane. „Freie Geister“ wäre in der BT-Listung Band 5, die Romane des Doppelbandes sind dort Band 6 und 8, der dazwischenliegende Roman „Four Ways to Forgiveness“ ist noch nicht übersetzt. -- 1. Das Wort für Welt ist Wald Auf einem 27 Lichtjahre von Terra/Erde entfernten Planeten blicken wir mit wechselndem Focus wie unter einem Brennglas auf drei Kulturbereiche im Konflikt: Wissenschaftler, Militär und naturbewahrende Ureinwohner. Es sind Nachfahren ehemaliger Erdbewohner wie der freundliche, moralisch und sachlich sehr differenziert denkende Dr. Lyubov und weitere Experten, der Berufssoldat Käpitän Don Davidson und Selver von Eschenbaum, ein Angehöriger der versklavten Athsheans, der den Terranern in der fremden Umgebung als Dolmetscher und Vermittler dient. Die im Matriarchat regierten Athsheans kennen in ihrer Sprache nur ein gemeinsames Wort für Wald und Welt. Als klassische Kolonialmacht beuteten die Humanoiden den Planeten in nur 4 Jahren durch Holzwirtschaft aus, obwohl ihnen die Zerstörung der Lebensgrundlagen durch die auf die Abholzung folgende Erosion bewusst sein sollte. Im Vergleich zu Erdbewohnern lebten die Kolonie-Bewohner bisher geradezu üppig von jagdbarem Wild. Die gefällten Bäume werden regelmäßig zur Erde transportiert, wo Holz inzwischen wertvoller sein soll als Gold. Der Kontakt zur Erde ist technisch möglich, jedoch bereits länger unterbrochen, was eigentlich einen Prozess der Selbstkritik auf Seiten der Kolonialmacht anregen sollte. Warum für eine Kultur abholzen, von der unsicher ist, ob sie noch existiert? -- Neben den persönlichen Konflikten zwischen den stellvertretenden Figuren lebt die Handlung von den spirituellen Fähigkeiten Selvers, der früher einmal angesehener „Träumer“ war und diese Fähigkeit damals lehrte. Träume können gerufen, geformt, gewebt und gestoppt werden. Konflikte auf diesem Weg lösen zu können, existiert als spirituelle Fähigkeit tatsächlich bei einem Volk in Malaysia, die Le Guin laut eigener Aussage jedoch nicht bekannt war, als sie am Roman arbeitete. Selver ist Dr. Lyubov besonders verbunden, seit der ihn aus Lebensgefahr rettete und seine Verletzungen heilte; Davidson wiederum hat sich Selvers unstillbaren Hass zugezogen, als er dessen Frau zu Tode vergewaltigte. Für Selvers Volk sind andere Wesen lebenswert, für die Erdbewohner jedoch nicht. Neben unbestreitbar brutalen Szenen nimmt in „Das Wort für Welt ist Wald“ Kolonialismus-Kritik und Konflikt-Analyse breiten Raum ein, aber auch die den Erdlingen fehlenden interkulturellen Kompetenzen nach dem Motto: vernichte, was du nicht begreifen kannst. Jede Begegnung mit Selver müsste Lyubov damit konfrontieren, dass er ohne seinen Vermittler aus einer „unterlegenen“ Spezies auf dem Planeten kaum eine Überlebenschance hätte. Fraglich ist, ob Terraner die Eigenheit der Athsheanischen Sprache je begreifen werden, dass dort jeder Begriff, jedes Ding „zwei Seiten“ hat und das Volk selbst dafür auch Vermittler benötigt. -- „Das Wort für Welt ist Wald“ ist durch die technischen Möglichkeiten der interstellaren Raumfahrt und der Kommunikation als Science Fiction einzuordnen, obwohl diese Möglichkeiten in diesem Band nur im Hintergrund vorhanden sind. Für mich war es ein komplexes, dabei zeitloses Buch zum „Mitwachsen“; denn die in der Handlung ausgelegten Verknüpfungen zu Kolonialismus und Rassismus werden sicher unterschiedlich aufgenommen, je nachdem, in welchem Lebensalter Leser zu diesem Zyklus greifen. ^^^^^^^^ -- 2. Die Erzähler In einer Welt der Zukunft hat der steigende Meeresspiegel das uns bekannte Vancouver verschluckt und die Stadt wurde in höherer Lage neu erbaut. Hier lebt die Indo-Kanadierin Sati, genannt nach Shivas Frau, was die junge Linguistin und Observantin in ihrem späteren Leben noch verärgern wird. Klein, dunkelhäutig und sprachbegabt ist Sati die ideale Besetzung, um unauffällig in einer abgelegenen Ecke des Kontinents Aka nach Kultur und Aufzeichnungen des nahezu untergegangenen Volkes der Maz zu suchen und gehorsam alle Aufzeichnungen ihrem Auftraggeber abzuliefern. Erst nach einer anstrengenden Reise samt zweiwöchiger Bootsfahrt beginnt Sati sich zu fragen, wer ein Interesse daran hatte, ein Volk der Erzähler und Rezitatoren auszulöschen und welche Rolle sie eigentlich spielen soll. Sati ist gechipt und aus ihrer Welt gewohnt, ständig kontrolliert zu werden, so dass sie sich ihre Erdlings-Gewohnheiten erst einmal abtrainieren muss. Die vermeintliche Lockerheit ihrer Probanden kann jedenfalls nicht darüber hinwegtäuschen, dass Sati vom Staatenkonzern genauestens beobachtet wird. Ihre wissenschaftliche Neugier kann evtl. Gegner auf die Spur der letzten Kultur-Reste locken und damit genau das Gegenteil von dem erreichen, das Sati für ihre Aufgabe hält. Sati erarbeitet sich die gefährdete Maz-Kultur über die Sprache, ihre Vermittlung und Veränderung. Ihr wird klar, dass ohne zu notieren, rezitieren und diskutieren z. B. keine Heilkunde möglich wäre und sie kommt sichtlich ins Grübeln, wer ein Interesse haben sollte, ein Volk und sein gesamtes Wissen auszulöschen. Ihre Forschung hat Sati zu der Erkenntnis gebracht, dass die jetzt über die Maz herrschende Kultur ausdrücklich Begriffe verbietet, die das „Eins-Sein“ oder eine Zweisamkeit beschreiben, und die direkte Folge dieser Zensur „Institutionalisierte Homophobie“ wäre. Inwieweit Sati an einen ihr vertrauten Zusammenhang anknüpfte oder neues Wissen zu diesem Thema erwarb, blieb mir unklar. Schließlich erhält sie den Tipp, dass nur durch eine weitere anstrengende Reise zu einem Bergvolk Reste einer Bibliothek im Berg Silong zu finden wären. „Die Erzähler“ beeindruckt mit der hochinteressanten Figur einer indisch-stämmigen Linguistin und einer bedrohten Kultur, die Reste ihres kulturellen Erbes bisher vor einem übermächtigen Staaten-Konzern verbergen konnte. Fesselnd fand ich das Setting, in dem Erdbewohner nur durch Bildung ihren ausgebeuteten Planeten verlassen und eine Aufgabe auf einem fernen Planeten finden können. Das Themenfeld Sprache, Wissen, Kultur, und wie letztlich Sprache stets Bewusstsein abbildet, lässt sich bei aller Komplexität der Hainish-Welt gut lesen. Die Neuübersetzung wirkt dabei zeitlos und untermauert den legendären Ruf des Zyklus als SF-Klassiker.

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