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Buchdoktor

Posted on 9.1.2022

Michael Schuster ist mit seiner Familie aus Israel in die USA versetzt worden; nach einer Station in Seattle hat er einen hochbezahlten Job im Silicon Valley. Seine Frau Lilach, die wie Michael in Israel 2 Jahre Wehrdienst geleistet hat, scheint in Palo Alto nahtlos in die Rolle einer Silicon-Valley- Hausfrau geschlüpft zu sein, die Sohn Adam jeden Tag zur Schule fährt und stundenweise ehrenamtlich Kulturveranstaltungen in einem Altenheim organisiert. Die Ehefrauen dieser „umgesetzten“ Israelis sehen sich als Gefangene innerhalb der USA. Sie müssen für „die Sache“ ihrer Männer zusammenhalten, finden sie und können sich ihre Freunde nicht aussuchen. Lilach spielt in diesen Zweckbeziehungen der akademischen Oberschicht möglicherweise eine Sonderrolle; sie ist in den USA, um ihren inzwischen 16-jährigen Sohn Adam vor der Gewalt im nahen Osten zu schützen. Lilach hatte den schmächtigen Adam stets besonders behütet und bisher noch nicht wahrhaben wollen, dass 16-Jährige, die keine Höhere Schule besuchen, bereits im Arbeitsleben stehen. Ein antisemitischer Angriff im Umfeld einer Synagoge bringt die mühsam gewahrte Fassade zum Bröckeln. Es trifft die Schusters direkt, als kurz darauf auf einer Feier ein Schüler aus Adams Jahrgang ums Leben kommt und die Polizei Adam vernimmt. Parallel zu den Ermittlungen müssen sich die Eltern nun fragen, welche Rolle eigentlich der Krav-Maga-Trainer der Jungen spielt und ob ihr Ruf nach Selbstverteidigung im Umfeld von Rassismus und Mobbing zu einer sinnvollen Lösung führen kann. Ayelet Gundar-Goshen türmt mit Rassentrennung, Rassismus, Antisemitismus, der Identität von Immigranten und Expatriates, Mobbing, dem Männer- und Frauenbild unter Auslands-Israelis, dem Verhältnis von US-Amerikanern zu Waffen und Selbstjustiz, dem Framing von Gewalttaten uvm eine schwer verdauliche Menge an Problemfeldern aufeinander. Weniger wäre hier mehr gewesen – und besonders das Thema Täter-Opfer-Umkehr hätte eine Vertiefung vertragen. Die Autorin zeichnet einerseits das Bild einer besitzergreifenden, psychisch belasteten Mutter, die das Erwachsenwerden ihres Sohnes nicht wahrhaben will. Andererseits kann sie mich jedoch nicht davon überzeugen, dass ein Elternpaar, bei dem beide in ihrer Jugend in Israel einen 2-jährigen Militärdienst abgeleistet haben, in einer Krisensituation so reagiert wie die Schusters. Als Icherzählerin gibt Lilach sehr viel von sich preis, psychologisch entsteht so ein interessanter Roman. Durch die starke Verdichtung der angeschnittenen Problemkreise wirkt jedoch nicht alles Erzählte logisch. Mir fallen viele Leser/innen ein, denen ich von der belastenden Lektüre abraten würde. Wenn Sie den Roman jedoch beginnen, lesen Sie ihn möglichst zu Ende!

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