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rumblebee

Posted on 25.11.2018

Alles Begehren Meine Eindrücke zu diesem Buch sind komplex. Nicht zu komplex – aber doch eben wesentlich komplexer, als es die Leseprobe vermuten ließ. Dies ist mitnichten „nur“ ein Unterhaltungs- oder Liebesroman. Das Buch ist überraschend modern, realistisch, und erzähltechnisch gelungen. Es bietet einige Ansätze, über die es sich nachzudenken lohnt. Fangen wir – irgendwo – an. Der deutsche Titel gibt mir Rätsel auf. Ich verstehe nicht, worauf er sich bezieht. Schon allein, ob das „b“ in „begehren“ groß oder klein geschrieben wird, würde vieles an der Aussage verändern. Der englische Originaltitel ist da eindeutiger. „Never Greener“, das geht zurück auf eine bekannte Redewendung - „the grass is never greener than on the other side“. Damit ist die Haltung und Botschaft des Buches recht klar umrissen. Es geht um aussichtslose Leidenschaften, darum, dass man sich in eine Idee verrennt, die nur deshalb so reizvoll ist, weil sie an den festen Umgrenzungen des eigenen Lebens rüttelt. Ein wenig hat mich das Buch an „Zwei an einem Tag“ von David Nicholls erinnert. Es geht um zwei Menschen aus der modernen Welt, die realistisch und recht klug geschildert werden. Sie scheinen für einander bestimmt, verpassen sich aber permanent. Immer kommt etwas dazwischen. Bei David Nicholls allerdings ist die Liebe letztlich glücklich – ich denke, das darf man gefahrlos sagen, ohne dem Leser von Ruth Jones zu viel zu verraten. „Alles Begehren“ ist ähnlich aufgebaut wie Nicholls‘ Buch. Passagen aus dem Heute und aus dem Damals wechseln sich ab. Der Leser erhält so Ein- und Überblicke, die den Protagonisten fehlen. Man ahnt schon lange vorher, oh weh, das wird letztlich nicht gut gehen. Callum McGregor ist – völlig bodenständig – Lehrer, eigentlich glücklich verheiratet, und hat drei Kinder. Kate Andrews ist eine sehr hübsche, aber letzten Endes egozentrische und willensstarke Studentin, die in derselben Kneipe jobbt, als sie sich kennenlernen. Nach der – vorhersehbaren – Beendigung der Affäre stürzt sie sich in eine Schauspielkarriere, und entwickelt etliche psychische Bewältigungsmechanismen. Die ich übrigens hervorragend geschildert finde! Ich finde die Sprache in diesem Buch schön – klar, modern und schnörkellos. So könnten tatsächlich heutige Menschen denken, fühlen und reden. Nur wenn es um die Sexszenen geht, ist mir manches zu flapsig; aber das mag eine Übersetzungsproblematik sein. Insgesamt finde ich auch, dass der Autorin die weiblichen Perspektiven besser gelungen sind als die männlichen. Ein wirkliches Glanzstück an diesem Buch sind für mich die Nebenhandlungen. Da geht es zum Beispiel um eine Jugendfreundin des Ehemannes von Kate, Hetty. Manche Leser werden das als überflüssig bemängeln; aber ich fand, das verlieh dem Buch genau die richtige zusätzliche emotionale Note. Und Hetty ist ja auch nicht unwichtig für den Ausgang der Geschichte. Zweitens habe ich die zahlreichen Schilderungen aus dem Schauspieler-Milieu sehr genossen. Manches ahnte man schon, manches war auch sehr witzig. Gepflegte Eitelkeiten, Drogensucht, die aufgesetzte Fröhlichkeit am Set, diverse Abhängigkeiten. Man merkt sehr deutlich, dass die Autorin selber Schauspielerin ist. Wie viel davon sie selber erlebt haben mag, kann man nur spekulieren. Drittens fand ich den Spannungsaufbau sehr gut. Im letzten Drittel gab es eine Stelle, da dachte ich, bitte nein, nicht so vorhersehbar… Doch dann riss die Autorin das Ruder wieder herum, und das Buch endete mit einigen bedenkenswerten Fragen. Und eben nicht glücklich. Es erstaunt mich selber, aber ich verleihe diesem Buch – nach etwas Bedenkzeit – doch wohlverdiente 5 Sterne. Es ist für mich emotional ausgeglichen, und vom schriftstellerischen Talent her unübersehbar gut. Da ist allerdings noch „Raum nach oben“. Eine moderne, aber realistische und hintersinnige Romanze, die eigentlich keine ist.

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