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joberlin

Posted on 8.11.2021

Es gibt Bücher, bei denen man schon auf der ersten Seite in Wehmut an die letzte denkt - so gut sind sie geschrieben, so gut in Stil und Inhalt, dass man wünscht, sie hörten niemals auf. Genau dazu gehört Florian Illies "Liebe in Zeiten des Hasses": Es beginnt gleich ganz köstlich mit einer Geschichte um das erste Stelldichein von Sartre und Beauvoir – und ich weiß, alles was ich mir von diesem Buch erhoffe, wird erfüllt: geistreiche Unterhaltung, die durchaus zu neuen Einsichten in Zeitgeschichte führen kann – schließlich geht es um die Liebe! Florian Illies geht in ähnlicher Weise wie schon bei den beiden erfolgreichen "1913" Bänden vor, hier nun der Zeitraum 1929-1939, die Dekade unterteilt er in "Davor" und "Danach", die Wahl Hitlers zum Reichskanzler liegt dazwischen und dem Jahr 1933 wird deshalb ein eigenes Kapitel gewidmet. Man merkt Florian Illies die Freude an der Recherche und am Schreiben an, seine äußerst fundierten Kunst-, Literatur- und Geschichtskenntnisse präsentiert er locker-leicht, Einblicke in Schlafzimmernischen inklusive. So erfahren wir vom Liebesleben diverser Künstler, Politiker, Literaten und Schauspieler, dabei sind bekannte Je-mehr-je-besser-Liebhaber wie Picasso, Tucholsky, Brecht, Feuchtwanger, Kästner, wir lesen von Lolita Lempicka , Mascha Kaléko und Lee Miller, und weiter von Carola Neher, Marlene Dietrich, Stalin und auch Adenauer …. und es ließen sich noch mehr, mehr, mehr aufzählen. Die Zusammenstellung ist exzellent getroffen und Florian Illies flotte Schreibweise und Formulierungskunst bewirkt ein Gefühl wie "direkt dabei gewesen": So genießen wir die wilden Zwanziger mit grenzenlosem Amüsement in Bars und Kabaretts, doch mit dem Aufstieg der Nazis beginnt der Abstieg der frei-frohen Liebespaare. Illies schafft diesen Turnaround Schritt für Schritt, sein Tonfall ändert sich; statt Vorbereitung aufs nächste Rendezvous geht es bald um viel existenziellere Fragen wie Bleiben, Gehen, Überleben. Erstaunlich, wie zusammenhängend die amourösen Fäden laufen - Deutschland, Europa, Amerika - ein großes Knäul Liebe, das Illies, en passant plaudernd, Meter für Meter und Jahr um Jahr für uns entwirrt. In meist kurzen Absätzen, mal ironisch, mal sachlich, aber immer so interessant, setzt er seine Schlaglichter. Häppchenweise wollte ich das alles genießen, doch Illies Liebeserklärung an die Liebe und an "seine" Künstler ist so unwiderstehlich, dass ich das Buch nicht mehr aus der Hand legen kann.

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