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letterrausch

Posted on 19.6.2021

Lange habe ich mich um Timur Vermes’ Roman „Er ist wieder da“ herumgedrückt. Das hatte zwei Gründe: Zum einen muss ich gestehen, dass ich das ganze Themenfeld „Hitler und der Zweite Weltkrieg“ mittlerweile schrecklich ermüdend finde. Während meiner Schulzeit kam das Thema jedes Jahr aufs Neue ins Blickfeld – mal in Geschichte, mal in Politischer Bildung. Wir haben in einem Jahr dreimal „Schindlers Liste“ geschaut. Nicht, dass das ein schlechter Film wäre – natürlich ist er ein eindrucksvolles Meisterwerk –, aber irgendwann reicht es dann auch mit dem pädagogischen Mehrwert. Dazu kamen dann noch die unzähligen NTV-Dokus. Ich weiß nicht, ob es heute noch so ist (ich habe keine Nachrichtensender mehr eingespeichert), aber man konnte diesen Sender zu jeder Tages- und Nachtzeit einschalten, und es lief eine passende Doku. Hitlers frühe Jahre, die letzten Kriegstage, Hitler im Alpenpanorama, Hitler im offenen Wagen vor jubelnder Menschenkulisse. Klar gibt es viel Film- und Fotomaterial, aber irgendwann hat man auch da jede mögliche Einstellung und jeden möglichen Spin des Themas gesehen. Und außerdem bin ich zwar durchaus der Ansicht, dass man so ungefähr allem mit Humor begegnen kann, ich war mir aber im Gegensatz dazu überhaupt nicht sicher, ob ich eine Satire über Hitler im heutigen Berlin lesen wollte. Das Sujet erschien mir dann doch recht geschmacklos. Nun habe ich es aber doch gewagt und war positiv überrascht, was hauptsächlich an der geradezu beängstigend guten Hörbuchfassung liegt, die von Christoph Maria Herbst eingesprochen wurde: Im Hitler-Sound. Herbst ist als Hitler-Imitator quasi unangefochten – wie sich seine Stimme anfängt zu überschlagen, wenn er sich in Rage redet, wie er nach einem „aber“ praktisch immer eine Kunstpause setzt und natürlich der gesamte Duktus: Das alles ist so nah dran am Original, dass ich mich mit diesem Hörbuch kaum in die Öffentlichkeit getraut habe. Ich wollte keinen falschen Eindruck erwecken... Dazu kommt, dass auch Autor Timur Vermes Hitlers Stil (im Reden und Schreiben) genauestens studiert hat, damit sein Ich-Erzähler Adolf Hitler auch wie er selbst klingt. Vermes benutzt die richtigen Schlagwörter, eben die richtige Lingo, die man aus den oben erwähnten Dokus wiedererkennt. Und so verschmelzen Text und Hörbuch-Interpretation zu einem Gesamtkunstwerk, wie ich es bei einer Hörbuchausgabe eigentlich noch nie erlebt habe. Da ist der Plot fast zweitrangig, oder? Aus Gründen, die im Roman nie geklärt werden, wacht Adolf Hitler im Jahr 2011 in einem Berliner Hinterhof auf. Von unserer heutigen Zeit ziemlich umgehauen, kommt er bald bei einem Kioskbesitzer unter, der ihn wiederum mit ein paar Fernsehleuten bekannt macht. Diese sind von diesem überzeugenden Hitlercomedian (so ihre Interpretation) so überzeugt, dass sie ihn im Fernsehen groß rausbringen wollen. Während Hitler natürlich an seine früheren politischen Erfolge anknüpfen und seine Fernsehkarriere als Sprungbrett nutzen will. Die Komik und Unterhaltung erwachsen bei „Er ist wieder da“ hauptsächlich aus dem Anachronismus des 1945er Hitler und dem 2011er Berlin. Hitler entdeckt deutsche Tageszeitungen, Hitler entdeckt moderne Autos und vor allem: Hitler entdeckt das Fernsehen. Für mich waren seine scharfsinnigen und spitzen Gedanken zum Unterschichten-TV das absolute Highlight. Was für mich eher nicht funktioniert hat, war die Tatsache, dass ihm überhaupt niemand auf die Schliche kommt. Damit meine ich nicht, dass ihn niemand als den echten Hitler identifiziert, sondern das niemand durchschaut, dass Hitler seine Hitler-Reden bierernst meinst. Im besten Sinne des „es kann nicht sein, was nicht sein darf“ gehen alle handelnden Personen davon aus, dass niemand in der heutigen Zeit solche Reden schwingen und sie ernst meinen würde. Weil man nicht so offen rechts sein kann? Oder weil man als Fernseh-Executive dann einsehen müsste, dass man einem offen Rechten eine Bühne geboten hat? Und so gehen all die Fernsehleute ständig davon aus, dass Hitler ganz in Robert de Niro Manier einfach nie seine Rolle „verlässt“. Sie finden das charmant und witzig und unterhaltsam und in großer Mehrzahl fangen sie dann an, seinen Hitlergruß zu erwidern. SIE meinen das ironisch, als Joke, als ein Spiel, und merken nicht, dass ihr Gegenüber so ziemlich alles hat AUSSER Humor. Diesen Gegensatz löst Vermes nie auf, was beim Leser bzw. Hörer einiges an Unbehagen hervorruft. Was ist also die Botschaft? Dass Hitler nie lustig sein kann? Konterkariert Vermes hier also seinen eigenen Roman? Ich weiß es, ehrlich gesagt, nicht. Ich habe mich amüsiert, aber eben doch mit diesem nagenden schlechten Gewissen, diesem unterschwelligem Unbehagen. Vermes hat eine Grundidee genommen – eine dieser unerhörten Begebenheiten – und hat sie erfolgreich ausgereizt. Respekt!

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