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letterrausch

Posted on 23.5.2021

Von Zeit zu Zeit muss es bei mir ein Sachbuch zum Thema Literatur sein, da bot sich „Die Schlange im Wolfspelz“ von Michael Maar gerade an, das dieses Jahr mit sieben anderen Büchern für den Deutschen Sachbuchpreis nominiert ist. Das „schräge“ Bild im Titel spielt bereits darauf an, worum es bei Maar auf über 600 Seiten gehen wird: nämlich um den guten literarischen Stil und wo er zu finden ist. Dabei macht Michael Maar relativ schnell klar, dass es sich bei gutem Stil um ein Geheimnis handelt, dem man sich mit Glück beschreibend nähern, das man aber nicht gänzlich lüften kann. So startet sein Buch zum Einstieg mit dem Versuch, den guten Stil zumindest zu umkreisen: „Was ist guter Stil? Und was hat guter Stil mit großer Literatur zu tun? Alles, oder fast alles. Nur gut geschriebene Bücher würden älter als fünfzig Jahre, bemerkt lakonisch der Stilkundler Ludwig Reiners. Aber was heißt: gut geschrieben?“ Tja, das eben ist die Frage. Maar beantwortet sie relativ schnell mit: „Das ist, wie fast alles in diesem Buch, Geschmackssache.“ Damit gibt er die Stoßrichtung seiner Untersuchung vor. Denn obwohl „guter Stil“ universell klingt, gibt Maar unumwunden zu, dass es sich am Ende immer um ein Geschmacksurteil handelt. In „Die Schlange im Wolfspelz“ erfährt der Leser also, was Maar für guten Stil hält. Für ihn fußt der gute Stil auf dem inneren Verbotskanon des Autors (Worthülsen und Phrasen, die er meidet) gepaart mit den guten Einfällen, die er sprachlich hat. Er startet bei der kleinsten Einheit – dem Wort. Maar schreibt über Verben und über Adjektive, dann über Sätze und wie man sie am besten aneinanderreiht (paraktisch, hypotaktisch) und widmet sich dann in einem Kapitel der Metapher. Er sinniert darüber, wie man am besten Dialoge schreibt und stellt fest, dass bei Fontane alle Charaktere gleich klingen. Doch das ist alles noch das Vorgeplänkel. Nachdem er in seiner umfangreichen Einführung also einen Grundstock gelegt hat, um guten Stil zumindest erkennen zu können, widmet er sich dann im Hauptteil verschiedenen Autoren, denen er einen solchen unterstellt. Dieser Hauptteil, den er „Die Bibliothek“ nennt, ist ein wahres Schatzkästchen; ein Fundus, aus dem man ganze zukünftige Lesejahre bestücken kann. Der (kleine) Pferdefuß zuerst: Maar schreibt, aus naheliegenden Gründen, fast ausschließlich über deutschsprachige Autoren. Das ist verständlich, denn es ist schwierig, den Personalstil eines Autors anhand einer Übersetzung zu bewerten. Es gibt ein bisschen Hemingway und Proust und Flaubert, aber ansonsten bleibt Maar in Deutschland, Österreich und der Schweiz. Was seine Autorenpoträts jedoch so lesenswert macht, ist seine durchschimmernde Begeisterung. Selbst, wenn ein Autor ihm nicht so zusagt, bleibt er immer fair und wohlwollend. Aber wenn er einem bestimmten Autor besonders zugeneigt ist, dann lässt er den Leser das auch gern wissen. Er scheut sich nicht zu schwärmen. Er zitiert viel, erklärt daran, warum er den Autor für einen guten Stilisten hält oder lässt die Zitate auch manchmal unkommentiert auf den Leser wirken. Diesen Mittelteil des Buchs könnte man als den Maar’schen Kanon bezeichnen – eng umrissen durch die deutsche Sprache, doch andererseits so reich an unbekannten, abwegigen und abseitigen Autorinnen und Autoren, dass sicher jeder Neues für die eigene Leseliste entdecken wird. Maar schließt sein Buch mit einigen Ausführungen zu Liebe, Sex und Zärtlichkeit. Wie schreibt man darüber am besten? Was sollte man vermeiden? Welcher Autor tritt in welche Falle? Das ist unterhaltsam zu lesen und macht viel mehr Spaß als Rainer Moritz’ „Wer hat den schlechtesten Sex“, das – man glaubt es kaum bei diesem Titel kaum – den Leser bald schrecklich ermüdet und langweilt. Maar walzt das Thema eben auch nicht ewig aus: Er lupft nur den Rocksaum, anstatt sich sofort des ganzen Kleidungsstücks zu entledigen. Und was ich versprechen kann: Bambi wird man nie wieder mit denselben Augen sehen! „Die Schlange im Wolfspelz“ ist ein groß angelegter Rundumschlag, der versucht, sich Pudels Kern zu nähern, wissend, dass das Geheimnis ein Geheimnis bleiben wird – und bleiben muss. Deshalb eignet sich das Buch sicher auch nur bedingt als Anleitung für aspirierende Autoren. Denn den guten Stil muss trotzdem jeder für sich selbst finden. Für Leser hält Maar jedoch einen übergroßen Fundus an Autoren bereit, die es noch zu entdecken gilt. Dabei ist zu empfehlen, sein Buch in kleinen Dosen zu genießen oder auch ein zufälliges Kapitel irgendwo im Buch aufzuschlagen. Denn „Die Schlange im Wolfspelz“ ist ein Buch zum entdecken und stöbern und genießen, nicht zum hungrigen Verschlingen.

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