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Dreamworx

Posted on 25.4.2021

Nichts bleibt ungesühnt... 1986 Schwäbische Alb. Die 16-jährige Annamaria, die nach dem Tod ihrer Eltern bei einer lieblosen und ständig unter Alkoholeinfluss stehenden Pflegemutter einquartiert wurde, wird der Faschingsdonnerstag zu einem Alptraum, der ihr Leben nachhaltig verändert. Niemand, dem sie von den Ereignissen berichtet, schenkt ihr Glauben. Doch dann gibt es einen Hoffnungsstreif am Himmel, denn Annamaria kommt als Au-Pair in die Familie der anerkannten Erziehungsexpertin Liane van der Berg, die selbst fünf Kinder hat. Hier sollte es Annamaria mit ihrer Tochter Stella eigentlich gutgehen, doch je länger sie dort ist, umso mehr muss Annamaria feststellen, dass nach außen alles nur Fassade ist… 2017. Liane leitet eine erfolgreiche Fernsehshow, in der sie schon 10 Jahre lang die Deutsche Nation mit ihren Kindererziehungstipps unterhält. Die Jubiläumsshow soll etwas Besonderes werden, doch dann wird Liane von der Vergangenheit eingeholt… Anja Jonuleit hat mit „Das Nachtfräuleinspiel“ einen facettenreichen und bewegenden Roman vorgelegt, der sich nicht mit den Erziehungsmethoden der späten 70er Jahre auseinandersetzt, sondern auch mit einer spannenden Handlung überzeugen kann und den Leser durch eine wahre Achterbahn der Gefühle jagt. Der flüssige, bildhafte und empathische Erzählstil lässt den Leser über zwei Zeitebenen zwei starke Frauen und deren Schicksal kennenlernen, die recht nahe gehen und gleichzeitig Schauer über den Rücken jagen. Jonuleit hat ihre Handlung perfekt konstruiert, denn sie lässt den Leser abwechselnd zwischen den Jahren 1986 und 2017 hin- und herspringen, um zum einen Annamarias Erlebnisse zu erfahren, zum anderen die Gegenwart von Liane mitzuerleben, deren Leben durch ihre eigene Tun in der Vergangenheit maßgeblich durcheinandergerüttelt wird. Über einen Zeitraum von 50 Jahren mit Intermezzos in den 70er und 80er Jahren bekommt der Leser nicht nur einen Einblick in die Hippiezeit, Drogenkonsum, freie Liebe und das Kommunenleben, sondern auch in das fragwürdige Brauchtum der schwäbischen Fastnacht. Die Kapitel werden jeweils durch ein Kinderspiel, dem „Nachtfräuleinspiel“ eingeleitet, was perfekt zur erzählten Geschichte passt und die düstere, spannungsgeladene Atmosphäre gut wiederspiegelt. Erschreckend ist die Erkenntnis allerdings, dass es in der heutigen Zeit viele Menschen wie Liane gibt, die skrupellos, manipulativ und ohne Rücksicht auf Verluste ihr Leben-(sglück) auf dem Rücken anderer aufbaut und meint, damit dauerhaft durchzukommen. Nur Geduldige werden belohnt, denn die Strafe folgt tatsächlich meist nicht auf dem Fuße, doch sie folgt irgendwann unverhofft und dafür so überraschender. Die Charaktere sind sehr detailliert und differenziert ausgestaltet und lebendig in Szene gesetzt. Der Leser kann seine Sympathien gerecht verteilen, heftet sich an die Fersen der Protagonisten und bekommt eine Geschichte geboten, die ihn mitfühlen, mitschaudern und vor allem mithoffen lässt. Annamaria wurde vom Schicksal bereits genug gebeutelt, trotzdem gibt sie nicht auf bei der Suche auf ein glückliches Leben. Sie ist freundlich, liebenswürdig und hat das Herz am rechten Fleck. Liane ist eine egozentrische Frau, die alles unter Kontrolle haben will, alles besser weiß und mit viel Augenwischerei ihre Umwelt manipuliert und in eine Ecke drängt, aus der sie als Retterin in der Not hervorgeht, was ihr letztendlich den Hals brechen wird. Carl genießt es, von Liane angebetet und hofiert zu werden. Er ist ein Egoist par excellence, dessen Welt sich hauptsächlich u sich selbst dreht. „Das Nachtfräuleinspiel“ ist ein Buch für zwischendurch, sondern ein tiefgründiger und anspruchsvoller Roman, der den Leser durch Höhen und Tiefen schickt, während die Dramatik immer mehr Fahrt aufnimmt. Am Ende ist man erst einmal sprachlos und denkt noch tagelang darüber nach. Absolutes Meisterstück von Jonuleit mit verdienter Leseempfehlung!

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