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elena_liest

Posted on 14.4.2021

"Nichts jedoch jagt mir mehr Angst ein als die Auftritte derer, die nurmehr Wahn als Angst ausgeben, die sich nicht mehr scheren um das, was allen gemein ist, die keine Bezugsgrößen mehr anerkennen außer ihrer eigenen Phantasie, die ihre Wut nicht mehr erklären, sondern nur noch ausagieren wollen, immer vertikal, gegen "die da oben", gegen eine vermeintliche "Diktatur", gegen "die Medien", gegen "Bill Gates", gegen irgendein "Komplott", das bekämpft werden muss." - Carolin Emcke, "Journal: Tagebuch in Zeiten der Pandemie" Als letztes Jahr im März der erste Lockdown aufgrund der Covid-19-Pandemie beschlossen wurde, beginnt Carolin Emcke, ein Tagebuch zu schreiben, bis in den Sommer 2020 hinein führt sie es fort, legt dann eine Pause ein und beginnt im November nochmals mit einer kleinen Rückschau. Sie hält ihre Gedanken zum aktuellen Tagesgeschehen fest, verarbeitet ihre Ängste, spendet aber auch Trost und Mut machende Überlegungen. Ich habe mich auch in diesem Buch wieder sehr wohl gefühlt mit und in Emckes Worten, sie hat mich damit aufgefangen und meine eigenen im Kopf herumschwirrenden Gedanken etwas geklärt und oft in den richtigen Kontext gebracht. Eine Große Stärke von "Journal" ist die Aufarbeitung des Zeitgeschehens. Ich konnte mit diesem Buch einige für mich sehr einschneidende Geschehnisse im letzten Jahr Revue passieren lassen und mir dazu nochmals etwas den Kopf zerbrechen. Moria, George Floyd, Querdenker-Demos oder Donald Trump - die Autorin schafft es, in einem ganz bestimmten Ton und mit einer ganz besonderen Einordnung, die Themen, die mich bewegt haben, zu betrachten. Ich denke, dass es auch in einigen Jahren einen großen Mehrwert haben wird, dieses Tagebuch aufzuschlagen, um sich an dieses Jahr zu erinnern. Als besonders bereichernd habe ich auch Carolin Emckes Ausführungen zu den Themen Angst und Verlust empfunden. Wir alle haben so viele Ängste in dieser Pandemie: Angst davor, uns anzustecken. Angst davor, dass ein geliebter Mensch an Corona erkrankt. Angst davor, dass ein Familienmitglied oder ein*e Freund*in an Covid-19 verstirbt. Angst davor, dass die Welt sich unwiederbringlich verändert hat. Angst davor, dass alles noch mehr aus den Fugen gerät. Und Angst vor rechten Ideologien, die sich immer weiter verbreiten - und vor Menschen, die sich dieser blindlings anschließen. Die Autorin geht auf all diese Ängste und noch mehr ein, sie findet exakt die passenden Worte und hat mich damit auch in meiner eigenen Trauer aufgefangen. Ich möchte das Buch wirklich allen empfehlen. Egal, ob ihr einfach das letzte Jahr Revue passieren lassen wollt, um eure Gedanken ein bisschen zu ordnen oder ob ihr einfach einen kleinen Rückzug braucht, um mit der ganzen Situation ein wenig besser klar zu kommen - "Journal" bietet genau das. Ein wirklich wunderbares Tagebuch!

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