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Buchdoktor

Posted on 4.2.2021

Ein nicht verschlossenes Garagentor wird in Nordelta, der Gated Community nördlich von Buenos Aires, als Unruheherd betrachtet. Der Sicherheitsdienst des straff organisierten Nobelviertels wird den Verursacher ermahnen. In Nordelta lebt Hector mit seiner Frau Pelusa und zwei Söhnen. Der Klimawandel hat die Natur merkbar verändert, größere Wasserflächen bieten mehr Fischen Lebensraum, der Fischbestand kann mehr Vögel als zuvor ernähren. In den oberen Stockwerken mancher Hochhäuser von Buenos Aires nisten bereits Papageien, nachdem die Bewohner die Stadt verlassen haben. Pelusa und einer der Jungen tragen sichtbare Narben eines Lebens außerhalb der Mauern. Sonderbar wirkt auf den unbeteiligten Leser allein, warum man sich in Nordelta sicherer fühlen sollte als anderswo, wenn Hector, wie alle Berufstätigen, auf dem Weg zur Arbeit Stadtviertel durchqueren muss, in denen Überfälle, Plünderungen und Polizistenmorde an der Tagesordnung sind. Auch Anita, das Hausmädchen, kommt täglich von „draußen“ und hofft, das Militär würde endlich für Ordnung sorgen. Ohne seinen Freund und Informanten Alvaro, der Auslöser des Umzugs nach Nordelta war, kann man sich Hector in dieser gekünstelten Umgebung nur schwer als lebensfähig vorstellen. Mit seinem Drang, körperlich zu arbeiten und sein Grundstück selbst in Ordnung zu halten, wird Hector hier bald anecken. Ein Trappistenmönch, der Einlass begehrt in die längst nicht mehr sichere Welt von Pelusas Familie, wird zu einem der Katalysatoren in Guses dystopischem Szenario. Pelusa hat sich lange schon ausgeklinkt, indem sie mit einer Freikirche sympathisiert, die das Land von den USA aus missioniert. Der zehnjährige Henny lebt in seiner sonderbaren eigenen Welt; er wird zur realen Gefahr in der Eskalation der gegenseitigen Abschottung. Ignacio, der durch seine Berufstätigkeit bis dahin so normal wirkende Familienvater, bereitet sich als „Prepper“ auf die nahende Apokalypse vor. Der Wechsel in der Erzählperspektive, der Ignacio selbst von seinem Projekt erzählen lässt, gibt Guses verstörendem Erstling über das Zerfasern einer oberflächlich geordneten Welt zusätzlichen Anschub. Der Autor demonstriert mir als Leser Gefahr, die in meinem eigenen Kopf lauert. Auch wenn ich mir zum Ende des Romans weniger ausgefeilte Beobachtung und etwas mehr Dynamik in der Handlung gewünscht hätte, empfehle ich diesen utopischen Roman gern. ----- Zitat „Ich suche mir einen möglichst kräftigen Baum. Die Kerben, die ich schlage, sind hauchdünn. Die dunkle Borke platzt sofort ab. Das Harz ist warm und ich schwitze beim Entlauben des Baums und beim Abtransport. Äste und Reisig nehme ich ebenfalls mit, für den Ofen. Ich hätte jederzeit ausreichend Holz, um diesen Zaun zu ziehen. Ich lagere es unter einer Kunststoffplane nahe am Haus. Und natürlich braucht es einen Zaun, es kann gefährlich sein, in einem unfertigen Haus zu wohnen. Umherziehende Kuhherden planieren den Garten, die Hunde schei..en alles voll, reißen die Haustiere, greifen Frauen und Kinder an. Einen Zaun bräuchte es, der in die Erde geht, denn Hunde springen ja nicht; er müsste also noch nicht einmal hoch sein. Einen Zaun, der unser Grundstück markiert, das Innen und Außen. Aber kein Zaun schützt dich vor Unachtsamkeit. Man muss auf sich aufpassen, das ist das Wichtigste, sobald man das Haus verlässt, muss man wachsam sein. Nie lege ich die Axt aus der Hand, wenn ich im Wald bin, regelmäßig blicke ich hinter mich. Indem ich zu jeder Zeit weiß, was um mich geschieht, die Gegenstände, die mich umgeben, kenne und wachsam bin, kann mich nichts überraschen.“ (S. 233)

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