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daslesendesatzzeichen

Posted on 25.1.2021

Daniel Glattauer kannte ich bislang nur durch „Gut gegen Nordwind“ – und davon, leider, bislang auch nur den Film. In der Hamburger Bücherhalle fiel mir nun das schmale knallrote Bändchen „Die Wunderübung“ von ihm in die Hände und ich nahm es interessehalber mit. Überlesen hatte ich den Zusatz „{Eine Komödie}“ und so war ich doch einigermaßen überrascht, als ich es zu Hause aufschlug und feststellte, dass ich es hier mit einem Theaterstückchen zu tun hatte. Egal, bei 111 Seiten bin ich nicht so, sondern lasse mich auch auf Experimente ein. Und siehe da: Ein vergnüglicher, aber dennoch mit Substanz gefüllter Abend kam dabei heraus. Drei Personen. Ein Pärchen und der Therapeut. Joana und Valentin haben zwei Kinder und jede Menge Probleme. Und sie haben eine Streitkultur, die sich von schreibt. Eigentlich bin ich fast ein bisschen neidisch auf die beiden, denn so einen coolen Schlagabtausch, wie sich ihn die beiden liefern, kriegt man nicht alle Tage hin. Joana ist tief enttäuscht und verletzt, weil sie sich seit Jahren von ihrem Mann nicht mehr gesehen fühlt. Sie möchte, dass er mehr im Dialog mit ihr ist, doch er entzieht sich diesen Situationen immer. Er wiederum empfindet die Situation eher so, dass sie eigentlich gar kein Problem hätten, wenn seine Frau ihm nicht ständig vorwerfen würde, was er alles nicht tut. Nichts kann er ihr recht machen und zu Wort kommt er gleich gar nicht. Die beiden bringen es in ihrer eingespielten Streitart so weit, dass selbst der Berater die Contenance verliert und irgendwann „Rollentausch“ brüllt, nachdem ihn minutenlang keiner der beiden mehr wahrgenommen hat. Mit viel Empathie, großem Augenzwinkern und wunderbar viel Wortwitz, verbringt der Leser hier in Echtzeit die erste (und letzte?) Therapiesitzung mit diesem Pärchen, das sich so gar nicht mehr grün ist. Bereits zu Beginn dürfen wir miterleben, wie tief die Kluft zwischen den beiden ist: JOANA Es war ein Fehler, dass wir gemeinsam gekommen sind. Normalerweise haben wir getrennte Anfahrtswege. Normalerweise gehen wir überhaupt getrennte Wege. Bei getrennten Wegen tun wir uns leichter, darin sind wir geübter. Nicht wahr, Valentin? Jedoch ist es in keiner Minute so, dass man sich fremdschämt, davonlaufen möchte, das Elend nicht mehr mitansehen könnte. Nein, hier sprühen die Funken vor lauter überbordender Freude am Formulieren von Bosheiten. Vor allem Joana ist eine Meisterin darin, ihre Meinung auf den Punkt zu bringen. JOANA Ich glaube, es ist für die Stimmung hier im Raum besser, Sie fragen ihn selbst. Er ist ja ausnahmsweise anwesend. Bähm, das sitzt. Ich habe mich köstlich amüsiert bei diesem verbalen Schlagabtausch, habe mich oft wiedererkannt in der keifenden, schlagfertigen Joana, die kein gutes Haar an ihrem Gatten lässt, obwohl man merkt, dass er so schlimm gar nicht sein kann. Aber doch sagt sie wahre Dinge, auch wenn sie gerne übertreibt. Ein Dialog, der nachdenklich macht: BERATER Angenommen, Ihre Frau würde es Ihnen möglich machen, dass Ihnen etwas leid tut. Was würde Ihnen dann leid tun? VALENTIN Sie haben immer so schwierige Fragen, so von hinten herum. JOANA Ist doch ganz einfach. Nichts würde ihm leid tun! Deshalb ist es besser, ich mache es ihm erst gar nicht möglich, dass ihm etwas leid tut. So spare ich mir die Enttäuschung. Reiner Selbstschutz. Traurig, aber wahr. So ticken wir Menschen manchmal – lieber versetzen wir selbst den Stoß, als ihn zu kassieren. Haben diese beiden Zankhähne eine Chance? Dem Berater verlangen sie jedenfalls alles ab. Und als er eine Pause einlegt, ist danach nichts mehr wie vorher, denn in der Pause bekommt der Berater selbst schlechte Nachrichten von seiner Frau. Plötzlich dreht sich alles und die Hilfesuchenden werden zum Therapeuten für den Berater. Wo führt das nur alles hin? Ein kurzweiliger Schnappschuss eines Ehepaars, das sich mal sehr mochte, aber gefangen ist im Alltag und über einen Berater, der mehr Hilfe braucht, als man denkt.

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