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Buchdoktor

Posted on 22.1.2021

Dinosaurier aus Papier falten können, das kann nicht schaden, dachte ich mir. Eine anfangs aus meiner Sicht namenlose und geschlechtslose Person lebt in einem Wohnheim, um 40 Wochenstunden in einem öden Praktikantenjob irgendwo im Kulturbereich arbeiten zu können. Praktikantinnen erledigen für ein Taschengeld die Arbeit, mit der Festangestellte später im Jahresbericht glänzen können. Annika hat Kulturwissenschaften studiert, wie offenbar viele andere auch, ist sich jedoch nicht klar, was sie eigentlich tun will. In der gegenüberliegenden Wohnschachtel lebt Marie-Louise, bei der jeden Abend Fete ist. Die Icherzählerin fühlt sich deshalb als Zuschauerin noch einsamer, als sie ohnehin ist. Nachbarin Marie-Louise macht den ersten Schritt auf Annika zu. Sie sprudelt vor Ideen, sie redet immer, egal ob jemand zuhört. In Annikas Ödnis gelangt damit Tempo. Als der Praktikantenjob beendet ist, zieht Annika notgedrungen wieder in ihr Kinderzimmer zuhause. Ohne Job scheint sie dazu verdammt, als ewige Jugendliche in einer Endlosschleife festzuhängen. Ihre Generation ist irgendwo auf der Welt unterwegs, um Erfahrungen und Qualifikationen zu erwerben, die andere längst besitzen. Doch wer Japanisch in Japan lernt, legt damit nur die Latte für alle anderen Bewerber höher und muss sich nach der Rückkehr mit in die Endlosschleife einreihen. Niemand von ihnen wird an irgendeinem Arbeitsplatz gebraucht, keiner scheint gut genug für den Kulturbetrieb. Selbst wenn Annika mit 30 Kindern Dinosaurier falten könnte, würde das nichts ändern. Die Mädels arbeiten ihre Löffelliste der Dinge ab, die sie dringend tun sollten, ehe sie einmal den Löffel abgeben müssen und wiederholen mit den Aufgaben eine Kindheit, der sie längst entwachsen sein sollten. Im biografischen Niemandsland steht die Zeit still. Ob es im Leben ein Später geben wird, darüber nachdenken müssen sie genau jetzt. Mehr Befindlichkeit als Handlung vermittelt Kristina Pfisters Ausschnitt aus dem Leben der Generation Praktikum in makellosem Stil. Eine Icherzählerin von eher gedämpftem Temperament könnte zum Problem werden, wenn ich beim Lesen ständig das Gefühl hätte, sie anstoßen zu müssen, damit sie endlich in die Gänge kommt. Doch die Mädels mochte ich, ihre Gedanken interessierten mich, so dass ich das Buch bedenkenlos empfehle.

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