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Buchdoktor

Posted on 21.12.2020

Eine Kinderfrage entlarvt die Absurdität von Bürgerkrieg und Genozid. Was der Unterschied zwischen Hutu und Tutsi wäre, wollen Gabriel und seine Schwester Ana in Burundis Hauptstadt Bujumbura von ihrem (französischen) Vater wissen. Eure Mama ist Tutsi, antwortet er, und du Gabriel bist auch Tutsi, weil du dich wie einer verhältst. Der Versuch einer Erklärung lässt Gabriel vermuten, der Vater würde den Unterschied selbst nicht verstehen. Vater Michel ist Bauunternehmer und beschäftigt einheimische Tagelöhner auf seinen Baustellen. Die Kinder sind 8 und 11 Jahre, als 1994 ein Völkermord in Ruanda den Konflikt zwischen Hutu und Tutsi beendet. Dass seine Mutter Yvonne Flüchtling aus Ruanda und einer ihrer Brüder bereits im Krieg gefallen ist, hatte Gabriel bis dahin nicht realisiert. Erste Schatten waren auf eine sorgenfreie Kindheit gefallen, als die Jungen aus dem Nachbarhaus aus den Ferien bei der Großmutter frisch beschnitten zurückkehrten und andere Eltern darauf beharrten, sie wären Franzosen, für sie käme das nicht infrage. Auch wenn in Gabriels kleiner Straße mehrere Jungen französische Väter haben, genügt hellere Haut, um von anderen Kindern verspottet zu werden. Schritt für Schritt nimmt Gabriel wahr, was um ihn herum geschieht und wovor sein Vater die Kinder bewahren wollte, indem er Gespräche mit ihnen über Politik verweigerte. Als sein Fahrrad gestohlen wird, realisiert der Junge, dass nur wenige Kinder in ihrem Leben so viel besitzen werden wie er. Eine Mauer um das eigene Haus schützt nicht vor Aufständen und auch nicht vor rassistischen Übergriffen, erkennt Gabriel - der Krieg ist in ihrer kleinen Gasse angekommen. Im Rückblick erzählt der erwachsene Gabriel Jahre später seine Geschichte, die von Briefen an seine französische Brieffreundin der Kindheit unterbrochen wird. Der Unterschied zwischen Hutu und Tutsi lässt sich noch immer schwer erklären. Warum Menschen nicht in ihren Heimatländern leben können, ist dagegen etwas klarer geworden in einer bei aller Brutalität höchst poetischen Geschichte über das Ende einer Kindheit.

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