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gwyn

Posted on 13.11.2020

Kunst hat ja zunächst einmal etwas mit Ausprobieren zu tun: verschiedene Materialien, Techniken und Gestaltungsmöglichkeiten. Die Perspektive wechseln! Verfremden, schneiden, kleben, optische Täuschung, Bewegung. Kinder muss man anleiten, Neues zu entdecken, sich selbst zu entdecken. Dazu ist dieses Buch sicherlich ein Anreiz. Verschiedene Techniken werden an Kunstwerken gezeigt. Es beginnt mit Picassos 1-Strich-Hund: «Bleib auf Linie!» Picasso hat mit einer Linie, ohne abzusetzen, einen Dackel gemalt, das Wesen eines Objekts einfangen und mit wenigen Strichen erkennbar gemacht. Dazu braucht man eine Menge Übung und ein gutes Auge. Das kann man trainieren – und hier wird auch gleich erwähnt, es klappt nicht gleich, man braucht eine Weile, um dahinzukommen. Drum geht es gleich einfach weiter mit Jackson Pollock, der Klecks-Bilder erschuf. Tropfen und Klecksen, Schicht um Schicht. Die Autoren besitzen auch einen herrlichen Humor. Man soll am Anfang das Bild auf den Wohnzimmerteppich legen. – Und dann wird sofort in Großbuchstaben erklärt: «DAS WAR EIN WITZ! MACH DAS BLOSS NICHT!» Und schon geht es weiter mit Verfremden, als Beispiel Lorna Simpson. Köpfe aus Zeitungen ausschneiden, ihnen neue Haar oder Hüte malen. Und dann kommt Bewegung ins Bild nach Bridget Riley. Eine optische Täuschung durch verschieden große Dreiecke; es entsteht der Eindruck von Krümmung, die es nicht gibt. Dazwischen gibt es immer wieder Basiswissen, Schattierung und Schraffur mit Stiften, Bleistifttricks, Basiswissen Farbe, Farbmedien, Pinsel und Spachtel. Aber es wird nicht nur gemalt. Kreieren, provozieren, Kunstwerke aus alten Sachen erschaffen, mit Formen spielen, Selbstporträt, Comic, Ölgemälde, Identität Performance – Signieren. Am Ende gibt es einen kurzen Abriss der Kunstgeschichte nach Epochen. Mit 20 Kunstwerken ist dies eine Herausforderung an Kinder. Basiswissen: was es so alles gibt, selbst auszuprobieren. Das Buch will ein wenig viel. Anleitung gibt es gar nicht. Das ist so, als wenn ich mit meinem Kind durch das Museum renne und zu Hause sage: Jetzt weißt du Bescheid – mach mal ein Kunstwerk. Ein paar dieser Werke sind einfach nachzumachen, das funktioniert. Aber brauche ich ein superfeines Selbstporträt, um mir den Anreiz zu geben: Mal dich selbst? Das kommt fast in jedem Schuljahr vor, auch bereits im Kindergarten. Doch wie malt man denn ein Porträt? Das ist ja die Frage. Wie wäre es, wenn man aus einem Foto von sich selbst erstmal eine bunte Collage macht – das gibt nicht den großen Frust. Das Buch besitzt einen gewissen Animationscharakter. Ja. Aber es kann auch Frust aufbauen. Als Beispiel gibt es jeweils berühmte Werke, minimal wird die Technik erklärt und das war es auch schon. Der Titel heißt ja: «So machst du richtig coole Kunst» Das SO fehlt mir in dem Buch. Ich hätte mir weniger Werke gewünscht, dafür mehr Technik, auch dem Kind angemessen. Ein kleines dünnes Buch, in das alles rein muss! Das funktioniert nicht. Schaue ich mir das Basiswissen an, so ist es hier genau das Gleiche. Ein bisschen erklären – was nicht ausreicht, wenn ich Null-Ahung habe – überflüssig, wenn ich es weiß. Das Gleiche gilt für den Überblick über die Kunstgeschichte. Muss man das alles in ein kleines Buch pressen, das den Anspruch des Kreierens hat? Für mich ist dieses Buch lediglich als grobe Übersicht zu sehen, was in der Kunst möglich ist. Denn so mache ich keine coole Kunst! Ich hätte mir gewünscht, 3-4 Techniken herauszunehmen, die ja innerhalb der Technik verschiedene Möglichkeiten bietet, sie zu beleuchten und kindgerechte Gestaltungsmöglichkeiten anzubieten. Wie arbeite ich mit Grafik, wie kommt Bewegung ins Bild? Wie muss ich vorgehen? Mal mal ein Ölbild. Vincent van Gogh hat die Farbe dick aufgetragen – probiere das aus. Für Ölbilder benötige ich Basiswissen zum Umgang mit den Materialien! Warum nicht Beispiele zu Miro, Kandinsky oder ähnlich leicht nachzuahmende Künstlern? Eine riesige Tropfsteinhöhle aus Müll, Plastikflaschen, von Gayle Chong Kwan – interessant. Besorge dir Müll und «verwandle dein Zimmer in eine Höhle mit einem riesigen Hochhaus oder gigantischen Wollhaarmammut darin!» Das sind Ideen, die in der Realität garantiert scheitern werden. Das Buch ist gut gemeint, aber didaktisch für mich nicht gelungen. Inspiration ja – aber mehr auch nicht. Kinder ohne Erfahrung lässt dieser Band hilflos zurück. Der Laurence King Verlag gibt eine Altersempfehlung ab 8 Jahren. Ich tendiere absolut zu 10/12+ Jahren. Ich würde es nur Kindern schenken, die bereits mit verschiedenen Materialien und Techniken Kontakt hatten. Dann gibt es Sinn, den Kopf für Neues zu öffnen. Denn eigentlich geht es hier um Statements: Mach dein eigenes Ding! Probiere dich aus! Provoziere! Dazu braucht es aber eine gewisse Reife. Insgesamt wird hier zu viel auf zu wenig Seiten gequetscht, zu wenig Anreiz zu Techniken gegeben. Henry Carroll studierte Fotografie am Royal College of Art, und seine Arbeiten wurden weltweit ausgestellt. Henrys klarer, jargonfreier Unterrichtsstil hat die digitale Fotografie entwirrt und Tausende dazu inspiriert, mit ihren Kameras kreativ zu werden. Rose Blake studierte an der Kingston University und dem Royal College of Art. Die vielfach ausgezeichnete Illustratorin, Künstlerin und Lakritzliebhaberin ist Gastprofessorin an der Kingston University und lebt in London.

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