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wandanoir

Posted on 26.9.2020

Von der Herkunft – von was sonst? „Herkunft“ ist das dritte Buch, das ich 2019 von der Longlist des Deutschen Buchpreises ablese und das erste Buch, das ich von Saša Stanišić lese. Ich mag seine lakonische Art. An verschiedenen Orten aufgeschrieben, nämlich in Hamburg, Višegrad, Zürich und Split erinnert Saša seine „Herkunft“ aus dem Damals. Damals als die Balkanstaaten noch ein einziges Jugoslawien bildeten, die meiste Zeit unter Tito. Und wo die Großeltern väterlicherseits und mütterlicherseits lebten. Natürlich an verschiedenen Orten. Višegrad und Oskoruša. Als Saša zwölf ist (oder vierzehn) kommen die Eltern nach Heidelberg, sie sind Geflüchtete. Migranten. Es ist schwierig, eine dauerhafte Aufenthaltserlaubnis zu bekommen. Die Eltern müssen einige Jahre später in die USA ausweichen. Saša aber bleibt vorort und studiert in Heidelberg. Wir wissen, dass er irgendwann die deutsche Staatsbürgerschaft erhalten hat, aber darüber wird nichts weiter berichtet (oder ich habe es überlesen). Was macht „Herkunft“ so besonders, dass die oft literarisch eingefärbte, beziehungsweise verfremdete, Autobiografie von allgemeinem öffentlichen Interesse wäre? Zwischen Eichendorf, einer Traumaschlange, einer dementen Großmutter, Haushalt, Arbeit und Sohn, in einer nicht chronologischen Anordnung, versteht der Leser nicht unbedingt immer, was erfunden und was gelebt ist, ja sogar nicht einmal immer, was gemeint ist. Was der Heimatverlust für die Eltern bedeutet haben mag, wird an den Jobs deutlich, die sie, mit geringen Sprachkenntnissen ausgestattet, annehmen mussten und die deutlich unter ihren intellektuellen Möglichkeiten lagen. Jedoch nicht an ihren Emotionen. Der Roman ist emotionssparsam. Er ist gut geschrieben, keine Frage. Und erhält durch die Flucht vor den Balkankriegen eine gewisse Brisanz. Allerdings nimmt dieser Teil nur sehr wenig Raum ein. Mehr Raum ist der dement gewordenen Großmutter gewidmet und ihrem langsamen Tod. Die Trauer darüber wird im Buch literarisch gemildert, in dem der Autor nach vier Fünfteln aus seinem Buch einen „Wähle-das-Ende-aus-Roman“ macht: Je nachdem, welche Option der Leser wählt, liest er auf Seite x oder y weiter und so fort. Solche Bücher hat der Saša in seiner Jugend geliebt. Mir hat dieser Teil allerdings am wenigsten zugesagt. Sollte er an ein Märchen erinnern? Es ist albern. Der beste Satz: „Ich verstehe nicht, dass Herkunft Eigenschaften mit sich bringen soll, und vestehe nicht, dass manche bereit sind, in ihrem Namen in Schlachten zu ziehen.“ Ja, ich auch nicht. Aber darüber hat der Roman eben wenig gesagt. Überhaupt hat er wenig gedacht und kaum etwas reflektiert. Er hat von Privatem erzählt. Das wars aber auch. Erinnerung und Erinnerungsorte sind in Ordnung. Aber sie sind etwas Privates. Sofern nicht etwas Bedeutendes, Prägnantes sie heraushebt aus den Erinnerungen aller anderer Menschen, sind sie eben nichts weiter als das: ein privates, für die Allgemeinheit nicht relevantes Erinnern. Fazit: „Herkunft“ ist eine literarisch verfremdete und aufgeputzte Biografie von mäßigem allgemeinen Interesse. Emotionsarm. Der Roman ist eine Teil-Autobiografie, die auch nichts anderes zu berichten weiß als das, was alle Menschen so erleben. Mehr oder weniger. Kategorie: Longlist Deutscher Buchpreis, 2019 Autobiografie. Verlag: Luchterhand, 2019

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