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gwyn

Posted on 9.9.2020

Der Anfang: «Wir nannten ihn den Hund. Ich glaube, Vaslav hatte ihm den Namen gegeben. Keine Ahnung, aber ich glaube, Vaslav hatte damit angefangen. ‹Hund. Hier. Sauber machen›, so in der Art. Jedenfalls dauerte es nicht lange, bis der Junge auf den Namen ‹Hund› hörte und aufblickte, wenn man ihn so rief.» Gleich nach den ersten Sätzen weiß man, was für ein abgefahrenes Buch man vor sich hat! Was für ein Kracher! Mo, ein Koch, erzählt uns die Geschichte vom Hund. «Man erzählt sich, dass der Hund während seiner ganzen Kindheit eingesperrt war, in einem dunklen Erdloch, in absoluter, rabenschwarzer Stille, irgendwo im Kosovo. Jahrelang. Seine einzige Verbindung zur Außenwelt war das Essen.» Die beiden verkaufen Köfte und Börek für Vaslav. Der Hund redet nicht viel, tut alles, was man ihm sagt. Vaslav ist ein übler Chef. «Wenn der Teufel auf einen Haufen scheißt, dann richtig, und bei Vaslav hatte er Durchfall gehabt.» Gegenüber der Dönerbude befindet sich das sagenumwobene El Cion, ein Sternerestaurant, das von Valentino, dem Küchengott geführt wird. Es ist der Traum von Mo, dort einmal zu arbeiten. Eines Abends brutzelt der Hund ganz nebenbei vertrocknete Brotrinde in der Pfanne an, rundet das Gericht mit Tabakbröseln ab. Nach der ersten Verwirrung probiert Mo und «friedliche, lähmende, morphiumartige Stille legte sich auf meine Seele». Und er bringt noch ein paar verrückte Gerichte zustande. Der Hund ist ein Genie! Mo hatte dem Hund alles beigebracht, den Umgang mit Messern, Schneiden und all die Handfertigkeiten eines Kochs. Sie sind ein Team! Nur wie schafft man es ins Team von Valentino? «Valentino war ein Todesstoß für die blutleeren und verkrampften Laborversuche der Molekulargastronomie und der verstaubten, reaktionären mediterranen Küche. Er war ein Flächenbrand für den Geschmack, ein Frontalunfall der Sinne seiner Gäste, man musste hinschauen und die Zähne hineinschlagen, ob man wollte oder nicht. Nach dem ersten Biss drehte man die Augen nach oben, bis das Weiße sichtbar wurde, und wenn das obszöne Ragout oder die absurd überteuerte Fasanenbrust den Hals hinunterrutschte, grunzte man, und man stöhnte, und man seufzte, und man bekam wehmütige Augen, man holte tief Luft, während der Geschmack im Mund mit voller Lautstärke dröhnte, als wäre man gerade in seiner Hose gekommen, und dann lächelte man verklärt, und man schüttelte leicht den Kopf und fragte sich, wie so ein Geschmack von Menschenhand geschaffen werden könne.» Das war einmal, denn Valentino schwächelt. Die Konkurrenz steht in den Startlöchern, dem El Cion den Ruf abzulaufen. Sterneküche, die härteste Liga der Köche. Wenn Flugzeuge landen, Limousinen vorfahren, dekadente Millionäre bei Kerzenlicht nach dem ersten Bissen Ahs und Ohs stöhnen, schwitzt in der Küche eine zugedröhnte Crew, «bis zu den Haarspitzen mit billigen Chemikalien vergiftete Köche.». Hier wird auf Milimeterarbeit geackert, hier geht niemand pinkeln (gegen Harndruck gibt es Tabletten), hier wird aufs Wort gehorcht und hier macht niemand Fehler! Valentino ist der Chef der Küche, der General, ein Choleriker, gnadenlos, wenn er austickt, brutal – der zuschlägt, dir mit dem Messer die Haut ritzt, sollte dir ein Fehler unterlaufen. Doch in Wirklichkeit schmeißt Lily das El Cion. Ohne sie würde der Laden zusammenbrechen, denn Valentino ist ein Chaot. Na klar, das Team Hund – Mo schafft den Sprung ins Valentino – das Wie ist genial geschrieben! Schnell entwickelt sich der Hund zeigt unter den Underdogs bald sein Ausnahmetalent. Er passt sich nicht an, hält sich an keine Regeln und er ist brachial. Er redet nicht viel. Er riecht, schmeckt, lässt seinen Ideen freien Lauf – und die sind nicht einfach nonkonform – die sind verrückt, völlig irre. Der Hund darf alles – er macht alles, was ihm durch den Kopf geht. Denn das Ergebnis lässt die Geschmacksnerven explodieren und die Genießer fast in Ohnmacht fallen. Der Hund ist ein Küchenterrorist! Aber das El Cion ist wieder obenauf. Ein Sternerestaurant braucht Geschichten – Geschichten, die nur dem Gast gehören, nur ihm allein. Geschichten, die er weitererzählen kann, die er in der Erinnerung trägt – mit denen er protzen kann. «Angeblich konnte er schmecken, ob die Kartoffeln in der Nähe einer Autobahn geerntet wurden oder ob das Fleisch von einem Tier stammte, das schmerzlos oder qualvoll hingerichtet wurde. Oder wer das Essen gekocht hatte. Ob es ein Mann oder eine Frau war. Ob sie sich vorher die Hände gewaschen hatte, ob sie ihre Tage oder vor Kurzem noch Sex gehabt hatte. Er musste die Kartoffelfelder im trüben Herbstlicht wie Bilder auf der Zunge gesehen haben. Die schwitzenden Titten der Frau hinter dem Herd und die nikotingelben Achseln der Gabelstaplerfahrer in den Großlagerhallen.» Dieser Roman ist eine Hommage an die Sterneküche und gleichzeitig eine Persiflage auf die Dekadenz des Drumherum. Die Sprache ist wortgewaltig, brachial – in der einen Minute zergehen die Sätze auf der Zunge wie Honigsahne, dann zuckt man zusammen, erträgt die rabiaten, fettigen, schwitzigen, sauigen Trommelwirbel, ekelt sich, um dann wieder schallend loszulachen. Emotional geschrieben, emotional beim Lesen unter die Haut gehend, Bilder die im Kopf, auf der Zunge explodieren. Mo zerzählt uns die Geschichte vom Hund, doch übergangslos wechselt die Perspektive auch mal in eine Figur hinein, die aber immer noch in Mos Bericht eingebunden ist. Die Geschichte vom Hund, ein modernes Märchen. Einerseits ist Mo der «Bruder» vom Hund, sie sind das Küchenteam. Doch über die Küche hinaus kommt Mo nie an den Hund heran, bekommt keinen Zugang zu ihm. Niemand weiß gena, wer der Hund wirklich ist. Immer wieder tauchen Sätze auf wie: Man erzählt über den Hund ... angeblich … Der Hund ist ein mystisches Wesen, der heute irgendwo leben soll. Selbst wenn er Wasser kocht – es kommt nämlich darauf an, wie man es macht – bringt er das göttlichste Getränk zustande, das deine Geschmacksnerven zucken lässt, denn er ist der Hund. Den Hund hat es wirklich gegeben – und wenn er nicht gestorben ist, so lebt er noch heute. Ein Roman, der so richtig knallt! Ich finde die Geschichte grandios! Akiz, geboren 1969, lebt als Regisseur und Drehbuchautor in Berlin und Los Angeles. Bekannt wurde er durch Filme wie Der Nachtmahr und Das wilde Leben. Einer seiner Freunde jobbte in den Neunzigerjahren in einem Edelrestaurant in Los Angeles. Dort am Pass, wo das Essen aus der Küche an die Kellner überreicht wird, kam Akiz die Idee zu seinem ersten Roman.

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