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gwyn

Posted on 9.9.2020

Ein Bilderbuch, an dem man nicht vorbeigehen sollte – denn inhaltlich wie künstlerisch konnte es mich begeistern. Der kleine Fuchs ist neugierig, wie alle Kinder, denn in der Welt gibt es spannende Dinge zu entdecken. Zu Beginn gibt das Buch den Grafiken den Raum. Der Leser entdeckt mit dem Fuchs seinen Lebensraum: Die Wiese mit Rebhühnern und Reihern – Strand, Meer, Möwen – am Binnengewässer probiert er den Reihertanz – Wald mit seinen Waldtieren – Dünen – und nun verfolgt er einen Schmetterling, achtet nicht auf den Weg … stürzt einen Abhang hinunter, und er fällt in einen tiefen Traum. «Der kleine Fuchs rennt zwei Schmetter-lingen hinterher, denn die sind lila.» Er träumt von der Zeit, als er gerade geboren wurde – hier setzt der Text ein – als er noch «klein war wie ein Äpfelchen», Wärme, Gerüche, Eltern, die Geschwister, mit ihnen herumtollen und die erste feste Nahrung aufnehmen: Mäuse. Es folge die ersten Erkundungen außerhalb des Baus, verschiedene Tiere und Pflanzen – und der kleine Fuchs beobachtet Menschen. Nun gibt es wieder viel Raum für die Grafiken. Der Vater gibt ihm einen weisen Ratschlag: «In dem Traum sagt Papa, der kleine Fuchs solle nicht so neugierig sein. Papa sagt: Neugier ist Todesgier. Das versteht der kleine Fuchs nicht ganz. Papa und Mama wissen alles. Sie zeigen ihm, wie die Welt geht.» Das ist der Midpoint, an dem das Buch eine Wendung nimmt. Der Fuchs ist größer, geht weiter hinaus in die Welt. Die jungen Füchse lernen zu jagen, sie finden eine Tüte Müll im Wald. Der kleine Fuchs frisst mit dem Bruder etwas leckeres Süßes, und sie entdecken einen Ball. Menschen sind gefährlich, sagen die Eltern. Da kommt ein Menschlein mit einer kleinen Kiste vor dem Auge, macht «klick». Und plötzlich findet der kleine Fuchs einen Glaspott. Mal sehen, was da drin ist – und schon bekommt er den Kopf nicht mehr heraus. Neugier ist Todesgier. Es wird alles gut … die Welt ist interessant und schön – doch nicht alles – man muss aufpassen. Die Illustratorin von Marije Tolman ist klasse! Sie arbeitet mit Mehrfachtechnik. Fotografien, Stift- und Kreidezeichnungen bilden den Hintergrund, darauf wird mit Deckfarbe und Stift gezeichnet. Mit neonoranger Leuchtfarbe ist der kleine Fuchs deutlich in Szene gesetzt. Der Wechsel der Technik erfolgt situationsbedingt. Das ist große Kunst! Ein tiefer Traum in der Bewusstlosigkeit – mit dem Vorbeiziehen des Lebens erinnert das fast an eine Nahtoderfahrung, denn Neugier ist Todesgier, wird mehrfach erwähnt. Edward van de Vendels warnt nicht vor der Entdeckerlust – ganz und gar nicht – er warnt nur vor eventuellen Gefahren, und er zeigt, wie gut es ist, einen Freund an der Seite zu haben, der einem immer wieder aus der Patsche hilft. Und der Freund ist diesem Fall ein kleiner Junge, ein Mensch. Die Menschen sind ziemlich gefährlich, warnen die Eltern. Eine gewisse Neugier gegenüber anderen kann zu wundervollen Freundschaften führen. Wie sähe das Leben aus, wenn wir alles unterlassen hätten, wovor unsere Eltern uns gewarnt haben … Die Altersempfehlung vom Gerstenberg Verlag, ab 4 Jahren, ist für mich stimmig. Edward van de Vendel, geb. 1964, schreibt Gedichte, Lieder, Comics, Romane und Sachbücher für Kinder und Erwachsene. 2016 erhielt der vielseitige und vielfach preisgekrönte Autor den Deutschen Jugendliteraturpreis. Für Der kleine Fuchs wurde er mit dem Silbernen Griffel ausgezeichnet. Marije Tolman, geb. 1976, studierte Grafik und Illustration an der Königlichen Akademie in Den Haag und am Edinburgh College of Art in Schottland. Sie wurde u.a. mit dem Bologna Ragazzi Award sowie dem Bilderbuchpreis Troisdorf ausgezeichnet. Für Der kleine Fuchs erhielt sie den Silbernen Pinsel .

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