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SternchenBlau

Posted on 4.8.2020

Nahbar und staatstragend gleichermaßen Hier hatte ich das Gefühl, dem Menschen Michelle Obama und der Frau ganz nahe zu kommen, obwohl mir viel des Buches als – im positiven Sinne – staatstragend fand, wirkte sie doch nahbar auf mich. Gerade die Schilderung ihrer Kindheit in der Chicagoer Southside fand ich absolut nahbar und ich denke, viele Menschen können sich wie ich mit ihr identifizieren. Michelle Obamas Kindheitserinnerungen sind in erster Linie sehr liebevoll, auf ihre Eltern, Großeltern und andere Verwandten gerichtet. So schreibt sie über die Musiksammlung ihres Großvaters: „Und der Himmel, stellte ich mir vor, musste ein Ort voller Jazz sein.“ Ernste Themen wie Rassentrennung flicht sie aber geschickt ein. Es ist immer klar, dass die Diskriminierung Lebenswege behindert oder zerstört. Michelle Obama kämpft für die Gleichberechtigung und gegen die unterschiedlichsten Diskriminierungsformen. Das tut sie oftmals voller Leidenschaft. Aber, durch die langen Jahre als First Lady, ist sie auch diplomatisch geworden. Das fiel mir besonders im Vergleich zum Buch „#BlackLivesMatter“ von Patrisse Khan-Cullors auf, das ich parallel zum ungekürzten Hörbuch gelesen habe. Die Wut von Michelle Obama ist diplomatisch verpackt, während sie bei Khan-Cullors mit voller, absolut nachvollziehbarer Wucht zum Tragen kommt. Und obwohl sich Michelle Obama der strukturellen Ungerechtigkeiten bewusst ist (und sie eine Lanze für die Sozialgesetzgebung bricht), kommt immer mal wieder der Neoliberale Gedanke durch, dass alle ihres Glückes Schmied sind. Das Staatstragende fiel mir besonders bei den Schilderung von Barack Obama auf. Ja, sie gibt sich alle Mühe, ihn im Familienkontext als liebenswürdigen Chaoten zu schildern, der seine Socken überall herumliegen lässt. Auch er soll nahbar sein. Aber ich finde, man merkt ihren Schilderungen auch an, dass sie sein Bild auf keinen Fall beschädigen möchte. Das ist ihr gutes Recht, erst recht, da die beiden den Scheinwerfern der Öffentlichkeit wohl nie ganz entrinnen werden. Manches ist wohlkalkuliert und perfekt gebaut. Wie wenn Michelle Obama und wie im Geheimen verrät, wovon sie fest überzeugt war, als ihr Mann sich zur Kandidatur um die Präsidentschaft entschieden hatte. „Ich glaubte nicht, dass er gewinnen würde.“ Natürlich ist das alles mit Bedacht geschrieben, aber den Mensch Michelle Obama spürte ich beim Hören dennoch sehr stark. Hin und wieder wurde mir dann der Jubelduktus, der sehr stark schon in den amerikanischen Stil begründet liegt, etwas zu viel und habe ein paar Tage mit dem Hören ausgesetzt. Es ist wertschätzend und charmant, dass Michelle Obama die Namen von College-Freundinnen, Personal des weißen Hauses und anderen Menschen auf ihrem Weg benennt, selbst, wenn diese nur am Rande im Buch auftauchen. Irgendwann aber auch etwas ermüdend. Und dann gab es wieder die Stelle, die mir fast die Tränen in die Augen getrieben hat. Als ich von dem Schulmassaker an der Sandy Hook Grundschule gehört habe, lief zeitgleich Berlin eine größere Demo von Corona Gegnern. An dem Tag, dem 19. Juni 2015, als die Obamas bei der Beerdigung der Schwarzen Opfer des rassistischen Anschlags in Charlston sprachen, entschied der Oberste US-Gerichtshof auf die Rechtmäßigkeit der gleichgeschlechtlichen Ehe und das weiße Haus wurde in Regenbogenfarben getaucht. Michelle Obama macht mit ihrem Buch Geschichte erlebbar, denn sie war hautnah dabei.  Nach und nach, je länger ich das Buch hörte, kam bei mir immer mehr Wehmut auf, auch, wenn Barack Obama nicht all jene Hoffnungen erfüllen konnte, die mit der Wahl 2008 in ihn gesetzt worden waren. Aber, wer hätte das schon gekonnt? Und Barack Obama war ein Politiker – und kein unberechenbar Egoist und Wutanfall auf zwei Beinen. Manchmal waren es nur Kleinigkeiten, die meine Wehmut auslösten, z.B. wenn Michelle Obama von der Anlage ihres Gemüsegartens erzählt, den sie im weißen Haus anlegte, um gesunde Ernährung vorzuleben. Ich höre das in dem Wissen, dass Melania Trump jetzt im Juli 2020 ließ ankündigen ließ, dass die aus Traditionsgründen diesen wundervollen Garten wieder einstampfen lassen würde. Später beschreibt Michelle Obama die Vergrößerung des Gemüsegartens sogar als ihr Vermächtnis. Kein Wunder, dass die „Rüpel“-Familie ihn wieder auflösen will. Je weiter das Buch voranschritt, umso stärker wurde auch Michelle Obamas Abneigung gegen den „Rüpel“ Donald Trump , dem Michelle Obama – wie sie selbst schreibt – nie verzeihen wird, dass er durch die Verbreitung des unsäglichen „Birther“-Verschwörungsmythos ihre Familie in Gefahr gebracht hat. So beschreibt Obama ihre Rede beim Parteitag der Demokraten 2016, als sie für Hillary Clinton warb.  „Ich wollte eine Lanze für die Würde brechen. Für den Gedanken das wir als Nation vielleicht doch an diesem Kernwert festhalten konnten, der meine eigene Familie seit Generationen aufrecht hielt. Mit Würde hatten wir stets alles überstanden. (…) When they go low, we go high.“ Ich wollte den Moment herauszögern, an dem das Unausweichliche kommen würde. Die Wahl von Donald Trump. Auch Michelle Obama versteht nicht, warum gerade so viele Frauen (ich mag ergänzen, weiße Frauen) diesen Frauenfeind gewählt haben. Wie gerne möchte ich die Geschichte zurückdrehen… Was bleibt? „Einen Schimmer der Welt, wie sie sein könnte.“ So sagt Michelle Obama, die sich keinen Zynismus erlauben will, sondern lieber auf die Hoffnung verweist. Zum ungekürzten Hörbuch Die Sprecherin Katrin Fröhlich ist ganz toll. Obwohl sie sehr viele bekannte Schauspielerin synchronisiert (ich liste sie jetzt bewusst nicht auf, damit Ihr kein Gesicht davon in den Kopf bekommt), wurde sie für mich zur Stimme von Michelle Obama. Gerade das Nahbare und Humorvolle, aber eben auch das Leidenschaftliche ebenso wie das Staatstragende bringt Fröhlich wundervoll rüber. Ich habe ihr knapp 19 Stunden mit Genuss zugehört. Fazit Nahbare und intensive Einblicke in das Leben von Michelle Obamas Leben ebenso wie in die Präsidentschaft ihres Mannes. Die Sprecherin ist wundervoll. 4 von 5 Sternen.

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