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awogfli

Posted on 31.5.2020

Eines gleich vorweg, wenn man aufmerksam liest, spoilert der Roman bereits auf der ersten Seite ordentlich, denn schon da geht es ganz klar um das Thema Organspende - nicht verklausuliert sondern das Wort Spende wird sogar definitiv erwähnt. Als Rückblende rollt Ishiguru das Leben von Kath auf, eine ganz dumme Idee. Somit wird der gesamten Geschichte der Überraschungseffekt und der sich allmählich entwickelnde Plot genommen, der den Leser erst nach und nach in die beschriebene dystopische Welt einführt. Dass ich so was für ziemlich strunzdeppat halte, brauche ich Euch wahrscheinlich nicht erklären. Weiters verliert sich Ishiguru in der episch breiten Auswalzung von Banalitäten wie z.B. dem ausufernd beschriebenen Tamtam um das Federmäppchen oder die Geheimwache. Als kurzes Schlaglicht für die Stimmung im Internat hätte es mich nicht so gestört, im Gegenteil ich hätte es sogar goutiert, aber eine so lange Perlenkette an für den Plot so nutzlosen Petitessen aufzufädeln, macht die Geschichte zäh und langweilig, wobei selbstverständlich alles atmosphärisch dicht und gut beschrieben arrangiert ist. Kommen wir auch noch zu dieser unsäglichen ausufernden Beschreibungswut, die den sehr guten Plot selten unterstützt, teilweise total lähmt und alles bis zum Erbrechen zu Tode schildert. Ein Beispiel soll hier symptomatisch für extrem viele aufgezeigt werden: Ruth und Kath führen ein wichtiges Gespräch über Tommy im Bushäuschen. 1. Zuerst ausladende Beschreibung der Haltestelle: aufgelassen, heruntergekommen, Fahrplan zerrissen und vergilbt etc. 2. Dann Schilderung des soeben stattfindenden Sonnenuntergangs, die Farben, der Wind, alles rundherum 3. Danach wird die Spinne im Häuschen thematisiert und ich frage mich die ganze Zeit, wo zum Teufel bleibt das Gespräch, das dann zudem sehr indirekt, kurz, verklausuliert und nicht ergiebig ist. Ein bisserl mehr Tempo in der Handlung und weniger detektivisch genau ausgeführte Umfeldanalyse hätten dem Roman und der Spannung sehr gut getan. Normalerweise erledigt so etwas ein sehr gutes Lektorat. Vom grundsätzlichen Plot her ist die Geschichte natürlich unheimlich innovativ und großartig konstruiert: das Internat, die wundervoll tief gezeichneten Protagonisten, die beschriebene Gesellschaft, die grandiosen ethischen Implikationen, da gibt es nix zu kritisieren. Auch das Ende ist sehr traurig und lässt mich als Leserin sehr aufgewühlt zurück, was für die Erzählkunst des Autors spricht. Fazit: Mit lektorischer Straffung, Einmischung und etwas mehr Mut, hätte sich der Roman durchaus 5 Sterne verdient, so hat er einfach zwischendurch enorme Längen und spoilert von Anfang an zu viel, was ich gar nicht goutiere und deshalb mit 3,5 Sternen abstrafe.

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