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ankasgeblubber

Posted on 2.5.2020

"Eine skurrile Hausgemeinschaft, eine bezaubernde Außenseiterin und die große Liebe" (Zitat Klappentext) Unsere bezaubernde Außenseiterin heißt Dorle. Dorle lebt sehr zurückgezogen im Souterrain eines Mehrfamilienhauses. Den einzigen Kontakt, den sie außerhalb ihrer vier Wände pflegt, ist der zu ihrem Mettbrötchenverkäufer. Ansonsten bekommt sie regelmäßig Besuch von Joe, der sie mit Heimarbeit versorgt und zu dem sie ein ganz besonderes Verhältnis hat. Auf einen Außenstehenden mögen Dorles Lebensumstände merkwürdig und armselig wirken, doch Dorle hat dieses Leben akzeptiert, hält an ihren Gewohnheiten fest und weiß diese zu schätzen. Auch wenn sie von der Hausgemeinschaft als unbezahlter Concierge missbraucht wird, und ihre täglichen Liegestützen unter ihrem Wohnzimmertisch macht, fügt sie sich ihrem Schicksal, bis zu dem Tag, an dem überraschend die 84-jährige Annegret Sonne in ihr Leben tritt. Die rüstige, sehr lebensbejahende alte Dame wohnt im 5. Stock des herrschaftlichen Hauses und hat es sich zur Aufgabe gemacht, Dorle aus ihrem kleinen Kellerloch herauszuholen, was sie schlussendlich buchstäblich tut. Sie lädt die junge Frau in ihre Wohnung ein und bittet sie, diese zu hüten, während sie eine 3-monatige Reise antritt. Erste Bedingung: Dorle darf sich nicht länger von der Hausgemeinschaft ausnutzen und als Fußabtreter missbrauchen lassen. Da Dorle nicht "nein" sagen kann und doch ein wenig Neugierde verspürt, findet sie sich kurze Zeit später zwischen leckeren Pralinen, Klangschalentherapien, einem cleveren schwarzen Kater und einem ständig ratternden Fax wieder, das immer neue Aufträge und Anweisungen von Frau Sonne ausspuckt. Jene lockt Dorle nicht nur aus ihrer Wohnung heraus, sondern zeigt ihr zudem ganz nebenbei, dass es vollkommen in Ordnung ist, wenn man auch mal an sich selbst denkt. Die Zeit an Dorles Seite hat mir unheimlich gut gefallen. Auch wenn es am Anfang nicht leicht war, die zurückgezogene, weltfremde und sich ständig aufopfernde junge Frau zu verstehen, schloss ich sie schnell ins Herz. Die Wandlung, die sie auf ihrem aufregend-steinigen Weg durchmacht, hat mich sehr berührt. Besonders beeindruckt hat mich dabei, dass sie sich zwar weiterentwickelt, jedoch nie ihre Wurzeln und ihr bisheriges Ich vergisst. Sie wird kein komplett neuer Mensch, sondern beginnt, sich selbst und ihre Mitmenschen besser und vielleicht auch von einer ganz anderen Seite kennenzulernen. Mein Highlight in diesem Roman waren die vielfältigen, teils schrulligen, teils schillernden Charaktere. Sehr scharf skizziert mögen sie auf den ein oder anderen Leser vielleicht zu übertrieben wirken, mich haben sie alle restlos begeistert. Nicht nur Joe hat bereits mit seinem ersten Auftreten mein Herz im Sturm erobert, sondern auch der kleine Kasimir mit seinem Dackel oder der alte, frisch verliebte Herr von Stottow. Brillante Figuren, Dorle inkludiert, die ich so schnell nicht vergessen werde. Lasst mich zum Schluss noch den jugendlich-spritzigen und doch sehr klugen und wortgewandten Schreibstil der Autorin Susann Rehlein loben. Er hat mich direkt abgeholt und mir trotz seiner Leichtigkeit das Gefühl gegeben, einen doch etwas anspruchsvolleren Roman zu lesen. Zwischendurch wendet sie sich sogar direkt an ihre Leser und übernimmt die Rolle des Erzählers. So hatte ich sie beim Lesen stets als Vorleserin, in einem großen, roten Ohrensessel sitzend, vor Augen, wie sie hin und wieder ihr Buch zuschlägt und ihre Leser auf einzelne Figuren hinweist oder das Gelesene kommentiert. "Die erstaunliche Wirkung von Glück" war für mich wie ein moderner Aschenputtel-Roman, der mir als Lesehighlight im Oktober die ersten düsteren und verregneten Herbsttage versüßt hat.

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