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sommerlese

Posted on 29.3.2020

Wie eine Gefangene lebt Imma in der Wohnung einer Tante hoch im Norden Italiens, weit weg von ihrem Heimatdorf bei Neapel. Die Dreizehnjährige ist in großer Gefahr, denn als der Sohn des Clanchefs sie zu vergewaltigen versuchte, schlug sie mit einem Stein zu. Jetzt soll sie dafür bezahlen. In der Einsamkeit der endlos scheinenden Tage wird Immas Wunsch nach Freiheit immer größer, bis sie sich schließlich stundenweise hinausschleichen kann und den jungen Buchhändler Paolo kennenlernt. Seine Bücher eröffnen ihr eine neue Welt und geben ihr den Mut, ihr Schicksal selbst in die Hand zu nehmen. Dieser Roman setzt sich zusammen aus feinfühlig erzählten einzelnen Geschichten verschiedener Frauen, die wunderbar zu einem passenden Ganzen verbunden werden. Bei den Frauenrollen bedient sich Oggero zwar Klischees, diese verdeutlichen jedoch nur die Situation im Süden Italiens und wirken absolut stimmig. Da gibt es die Mama, die verschmähte Braut, die als alter Jungfer endet, die bildschöne Tochter, die früh Mutter wird und das Mädchen Imma, noch ein Kind, das von den Männern schon als Frau gesehen wird. Gleichzeitig wird hier eine Gegend in Süditalien beschrieben, in der fast noch archaische Zustände herrschen und die Camorra ihre eigenen Gesetzte geltend macht. Der häufige Perspektivwechsel geschieht durch die erzählenden Frauen und das bringt Interesse in die Handlung mit sich. Langsam begreift man die tragischen Schicksale und hofft auf ein Ende dieser männlichen Vormachtstellung der Mafia und ihrer Handlanger. Der Erzählstil Oggeros wirkt sachlich und distanziert. Sie verwendet kurze Sätze, die trotzdem alles beeinhalten. Hierdurch kommt eine unaufgeregte Spannung zum Ausdruck, die die Traurigkeit noch unterstreicht. Dieser Roman zeigt in einem ruhigen Erzählton große Gefühle auf. Es geht um Liebe, die Hoffnung auf Freiheit, Familie und Lebensglück, aber auch um verletzte Gefühle, Einsamkeit, Schuld und Sühne. In der Person der Protagonistin Imma werden all diese Gefühle zusammen geführt und es gelingt ihr, durch ihren Freiheitswunsch einen Weg aus dieser Isolation heraus zu finden. Das Imma eigentlich viel älter und reifer wirkt, als sie eigentlich erst ist, polarisiert und zeigt ihren Mut und ihren Wunsch, ihr Schicksal selbst in die Hand zu nehmen. Ihre Erlebnisse haben sie schnell reif und lebenserfahren werden lassen. Durch Paolo lernt sie auch die Verliebtheit kennen und seine Bücher entführen sie in fremde Schicksale, die ebenfalls gefangen sind. Dieser lesenswerte Roman hat mir sehr gefallen, es ist ein Mix aus Familiengeschichte und Schicksalsroman, der mit Emotionen aufwartet und sehr beeindruckt.

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