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anne_hahn

Posted on 23.3.2020

Mein kleiner Buchladen: frische Bücher - Hippocampus Schon wieder so eine tote Schriftstellerin, die ausgebeutet wird. So wie Elvira die Bachmann gelesen hat, denkt sie, es würde ihr nicht gefallen, ihren Kopf in ein Logo eingearbeitet und auf Tassen und Taschen gedruckt zu wissen, mit denen umgehängt dann Besserwisser und Wichtigtuer in Klagenfurt herumstolzieren und drauflos bloggen. Die Bachmann muss ihren Kopf hinhalten, für einen Literaturwettbewerb, der zur literarischen Talentshow verkommen ist, in der sich verunsicherte Kandidaten durch Videoporträts, mit rätselhaften Faxen in Szene setzen müssen. In der eine selbstgefällige Jury möglichst mit gut vorbereiteten, maliziösen Bonmots herumschmeißen soll, damit das Publikum bei all der Literatur auch was zu lachen hat. Arme, tote Bachmann. Es ist mein erstes Buch von Getraud Klemm. In der Flut der Neuerscheinungen vielleicht wegen des Seepferdchens bei mir gelandet, welches auf flatternd blauen Hintergrund gedruckt, gelb und filigran vom Cover leuchtet. Ich habe die 378 Seiten verschlungen, sie hat etwas aufgewühlt bei mir, diese 1971 geborene und in Baden bei Wien aufgewachsene Autorin, welche sich seit 2006 zum Schreiben bekennt. Davor kontrollierte die studierte Biologin als Beamtin das Trinkwasser der Stadt Wien. Warum man diese Sicherheit aufgibt, fragte Sebastian Fasthuber vom Falter? „Mir ist lieber, ich mache das, was ich wirklich will, als ich bin Senatsrätin.“ Antwortet Gertraud Klemm heute, damals ließ sie sich fünf Jahre unbezahlt beurlauben und kündigte 2011. Drei Romane, einen Publikumspreis der Bachmann-Tage und eine Longlist-Nominierung für den Deutschen Buchpreis später rechnet sie ab. Zunächst beginnt der Roman gemächlich, in abwechselnden kurzen Kapiteln werden Adrain und Elvira eingeführt. Der dreißigjährige Kameramann Adrian, von Projekt zu Projekt hechelnd und dauerverschuldet, lebt in Wien und beschäftigt sich hauptsächlich mit der Frage, wie er die coole Katalyn für sich begeistern kann. Elvira, die Protagonistin des Rachefeldzuges, ist eine launische, hellwache Alt-Emanze, eine ruhlose Verächterin alles Bürgerlichen. Weiter Ausschnitt, Kippe im Mund, funkelnde Augen. Unpassend in jeder Provinz. So lernen wir sie im zweiten Kapitel kennen, als sie den Nachlass ihrer Freundin Helene Schulze ordnen soll. In deren Rückzugsort Hintermoos, einem Zwergenhäuschen am Ende eines Tals. Sie soff sich zu Tode in dieser Sackgasse und hinterließ einen Roman, der jetzt auf die Longlist des Buchpreises geraten ist. Presse und Kritiker lauern auf Sensationen. Ihm fällt sofort die Haarfarbe auf, es ist ein gelbliches Weiß, das bis zu den Schultern fällt, in dem sich die Sonne fängt. Gleich danach trifft ihn ein Blick aus hellbraunen Augen, den er schwer einordnen kann. Abschätzend und stechend, denkt er. Die Frau ist barfuß, trägt eine ziemlich enge, aufgekrempelte Jeans, die unter den Knien endet, und ein schwarzes T-Shirt mit schlampig weitem Ausschnitt, und sie sagt nichts und nickt nur, als er hinter Cordula den schmalen Waschbetonplattenweg durch das Gras auf sie zugeht. Im 5. Kapitel treffen sie aufeinander, das Team "feministische Germanistin" nebst zwei Technikern und Elvira Katzenschlager. Was folgt, ist atemberaubend witzig und bösartig. Elvira macht die Redakteurin rund, dass sie nur noch nervös an ihren Frage-Kärtchen zupft, die zur Sensation führen sollten. Der langsame Selbstmord der früher gehypten Autorin, der Skandal, der durch Helenes Requisite verletzte Stadtrat, das nachträglich aberkannte Stipendium... Mit diesem Tratsch wollen Sie einen Nachruf gestalten? Haben Sie nichts Besseres? Haben Sie irgendein Buch gelesen? Können wir über das Werk sprechen und nicht über den gekränkten Stolz eines Stadtrates? ... Zwei Seiten später ist der Dreh abgebrochen und drei Kapitel weiter ist Adrian wieder in Hintermoos. Elvira hat einen Entschluss gefasst und Adrian als Assistenten angeheuert. Der alte Bus der toten Schriftstellerin wird aus dem Schuppen geholt und los geht der Roadmovie eines ungleichen Rächerpärchens. Die Abrechnung mit der Kulturmaschinerie besteht aus schrägen wie radikalen Installationen und Performances, die anfangs noch planlos, zufällig wirken. Elvira will an das marginalisierte Werk ihrer Freundin erinnern und demonstrieren, wie wenig präsent Künstlerinnen und Frauen an sich im öffentlichen Raum sind. Vollgekackte (Erwachsenen)-Windeln gemahnen an die Mütter-Leistungen von Hintermoos, Riesen-Vulvas schmücken Reiterstandbilder etc., alles versehen mit dem Stempel eines Seepferdchens (Hippocampus). Der Plan zu diesem Roman sei lange gereift, schreibt der Falter, die Umsetzung habe fünf Jahre gedauert. Ausgangspunkt waren demnach für Gertraud Klemm die Biografie der österreichischen Schriftstellerin Brigitte Schwaiger (1949–2010, „Wie kommt das Salz ins Meer“) und der mediale Umgang mit ihrem Tod. In den Nachrufen war vor allem von psychischen Problemen die Rede. Gertraud Klemm hatte einen regen Briefkontakt mit Brigitte Schwaiger unterhalten und war von ihr zum literarischen Schreiben ermutigt worden. Sie wollte den Nach-Ruf so nicht stehen lassen. Das Seepferdchen (mit den ihre Eier selbst ausbrütenden Männchen) hat eine zentrale und symbolische Bedeutung für die Biologin Gertraud Klemm, sie habe diese Tiere schon immer geliebt, weil sie grotesk seien und einfach zeigten, dass es auch anders ginge, (Interview ab Minute 42:44) und man die Natur überhaupt auch ganz anders betrachten könne. Nicht nur die Natur würde falsch interpretiert, so Klemm, auch im Literaturbertrieb sei das Renommee männlich. Hippocampus ist ein höchst vergnüglicher Appell dagegen, und eine würdige Hommage auf die verkannte Autorin Schwaiger, welche ihr mitunter wie ein Papagei auf der Schulter gesessen und etwas eingeflüstert habe, meint Gertraud Klemm im selben Interview. Wie Adrian und Elvira durch Österreich touren, ein Cowboy-Festival und eine Preisverleihung aufmischen, sich nerven (verschiedene Sex,- Rausch,- und Moralvorstellungen) und voneinander lernen (Adrians Smartphone+Laptop, Elviras Kunsts-, Feminismus- und Geschichtswissen) ist temporeich und komödiantisch inszeniert. Mich hat besonders der Quantensprung zwischen den Generationen begeistert; Klemm lässt Adrian staunen, sich fasziniert antasten, angeekelt abwenden, während sie ihn scheinbar benutzt? Und doch spinnt sich ein feiner Draht zwischen ihnen, welcher bis ins Gabinetto Segreto, den "Penis-Saal" des Archäologischen Museums nach Neapel führt - Elvira hat eine Installation vorbereitet, Adrian filmt mit der Handy-Kamera und hört sie singen. Wie eine Hohepriesterin, eine Hexenmeisterin, sagt er, und ich möchte in dieser Szene neben Elvira stehen. Selten hat mir eine Romanfigur so einen diebischen Spaß bereitet wie sie, die jetzt, fast am Ende des tolldreisten Trips, mit der Lautstärke einer Opernsängerin "Viva la Vagina" durch das phallusbeherrschte Gabinetto schreit. Jetzt erst sieht er, was sie trägt. Er sieht die Schamhaare im Pelz, die inneren, violetten Schamlippen, dahinter die altrosa Vaginalöffnung. Er sieht die Klitoris aus dem roten Halstuch herauswachsen. Elvira hat sich als wandelnde Möse kostümiert. Wie konnte er das vorhin nur übersehen?

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