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Babscha

Posted on 3.3.2020

Lennard Salm, Endvierziger, Single, Aktionskünstler, sammelt als Vorbereitung für sein neues Projekt gerade im Nirgendwo der lampedusischen Küste Treibgut gestrandeter afrikanischer Bootsflüchtlinge, als ihn die Nachricht vom Tod seiner ältesten und von Geburt herzkranken Schwester Helene in Hamburg erreicht. In seiner Heimatstadt angekommen, lässt er sein Leben und das seiner Familie noch mal an sich vorüberziehen, taucht ab in den erinnernden Mahlstrom familiärer Probleme, Unzulänglichkeiten. Missverständnisse und Sprachlosigkeiten. Alle sind sie nochmal da zu Ehren von Helene, sein langsam erblindender und von einer polnischen Pflegekraft versorgter Vater, seine verschrobene Mutter, die sich schon vor langem von ihrem Mann getrennt hat und seit Jahren in Florida lebt, seine jüngere, immer noch rastlos überdrehte Schwester Sybille, und sein jüngster Bruder Paul, als Einziger gesellschaftlich solide etabliert, mit dem es allerdings etwas ganz Besonderes auf sich hat, was man aber erst im Laufe der Geschichte erfährt. Salm lässt sich treiben, alles einfach auf sich einwirken, und versucht, den Blick nach vorne zu richten, endlich eine Struktur, einen Sinn, einen klaren Blick für sein weiteres Leben zu gewinnen. Im typisch lappertschen, gemächlichen und mit feinem Blick für Einzelheiten und Zwischentöne ausgestatteten Erzählstil wird hier die Geschichte eines äußerlich erwachsenen Jungen ausgebreitet, der in einer in sich gescheiterten Familie aufwächst, in der jeder so gerne seine Lebensträume verwirklicht hätte, aber durch die bloße Existenz und die Eigenarten seiner Familienmitglieder daran gehindert wird und in logischer Folge dann irgendwann einfach nur erstarrt. Natürlich in Verbindung mit offener oder stiller Schuldzuweisung an die Anderen. Wir begleiten Salm hier einfach im ruhigen Fahrwasser seines Lebens, das kraft der speziellen Erzählkunst des Autors auch ohne große Wirrungen und Wendungen Seite für Seite an Form gewinnt und gerade dadurch in Bann zu ziehen vermag. Zumindest gilt dies für den allergrößten Teil des Buches. Erst zum Ende hin hätte ich mir dann doch noch ein ganz klein wenig mehr Entwicklung gewünscht, aber da hängt nichts von ab. Insgesamt ein überzeugendes, irgendwie melancholisches Buch, so lapidar wie messerscharf in seiner Pointierung einer Familie, wie sie so oder ähnlich in tausenden deutschen Blutszwangsverbindungen Realität sein dürfte. Emotional nachvollziehbar nur durch eigene Lektüre.

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