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Babscha

Posted on 2.3.2020

Ein Mann erwacht. Plötzlich, bewegungsunfähig, es ist dunkel. Er hört Stimmen. Sein erster Gedanke: Sie haben mich also doch erwischt! Obwohl ich alles Denkbare unternommen habe, damit das nicht passiert. Nach und nach merkt er aber, dass irgendetwas nicht stimmen kann. Realisiert, dass er sich nicht irgendwo in Einzelhaft unter strenger Bewachung, sondern als Embryo im Uterus einer Frau befindet, bewegungslos an der Nabelschnur hängend. Schicksalhafte Reinkarnation, alles also noch mal gut gegangen. Der zunächst irritierte, dann immer atemloser eintauchende Leser erfährt, dass der namenlose Ich-Erzähler ein Ende des 19. Jahrhunderts geborener Verhörspezialist unter dem Naziregime war, der sich nach dem Krieg kunstvoll eine neue Identität zugelegt hatte. Seine erste Existenz ist ihm vollständig präsent, leider hat er keinerlei Erinnerung an sein neues Leben in der Nachkriegszeit, das, wie sich herausstellt, auch bereits seit einigen Jahrzehnten beendet sein muss. Nur seinen letzten Namen erinnert er noch. Notgedrungen richtet er sich ein in seiner neuen Welt, wartet ungeduldig auf seine Geburt, belauscht seine nichtsahnenden neuen Eltern und plant mit messerscharfem Verstand seine weitere Vorgehensweise nach Erblicken des Lichtes der Welt. Was einem zunächst wie eine krude, weit aus dem Reich der Phantastik hergeholte Story erscheint, entpuppt sich schon nach wenigen Seiten als überwältigend gut geschriebener, megaspannender Roman, der mich komplett gefesselt hat. Der Autor zeichnet seinen gefühllosen, abstoßend denkenden und agierenden Protagonisten als ein wahres Monster in Babygestalt, das mittels perfider Menschenkenntnis aus seinem früheren Leben als Folterknecht in Verbindung mit einem völlig gestörten Geist seine gesamte ahnungslose Umwelt, insbesondere seine Eltern, für seine Zwecke missbraucht und manipuliert und dabei mit den Jahren immer gefährlicher wird. Die Veränderungen der Welt seit 1948 in allen Belangen nachzuarbeiten, stellt dabei noch das geringste Problem dar. Neben den Kapiteln, in der dieser Mensch dem Leser seine eigene Vergangenheit ausbreitet und ihn wie einen Mitwisser sukzessive in seine weiteren Ziele einweiht, kommt auch sein heutiger Vater, ein solider, wenn auch leicht naiver Computerprogrammierer, in längeren Episoden selbst zu Wort und erzählt das Ganze aus seiner Sicht, von seinem immer größeren Unwohlsein im Erleben seines heranwachsenden Sohnes. Die Sprache des Buches harmoniert bestens mit seiner Geschichte, kalt, gefühllos, berechnend, streckenweise blutgefrierend. Nach vielen überraschenden Wendungen, Abzweigungen, unguten Entwicklungen und logischer Weise reichlich „verbrannter Erde“ auf der Strecke dann in einem konsequenten, überzeugenden Finale eskalierend. Ein Buch, das mich so begeistert wie überrascht hat. Absolute Leseempfehlung und trotz seiner Schwerverdaulichkeit ein literarisches Highlight

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