Profilbild von morningside

morningside

Posted on 10.2.2020

Alberto ist zur Zeit des Bürgerkrieges in einem Waisenhaus in Spanien aufgewachsen. Inzwischen ist er Großvater und muss sich einige Zeit um seinen 7jährigen Enkel Tino kümmern, dessen Vater nach einem schweren Unfall ins Krankenhaus musste, wo Tinos Mutter natürlich bei ihm bleiben möchte. Währenddessen erfährt Tino, dass sein Opa weder seine Eltern kennt noch sein Geburtsdatum oder -jahr. Tino überredet seinen Großvater, sich gemeinsam mit ihm auf den Weg in das Waisenhaus machen, um Licht in das Dunkel seines Vergessens zu bringen. Alberto hat nämlich nicht nur diese wichtigen Daten vergessen, sondern sein gesamtes Leben ehe er ins Waisenhaus kam. Dabei war er gut 6 Jahre alt, als er dort aufgenommen wurde. Mit jeder Station, die die beiden Suchenden erreichen, tauchen in Albertos Gedächtnis Erinnerungsfetzen auf. Die Handlung spielt in mehreren Zeit-Ebenen: Die aktuelle Zeit, die von einem Erzähler in der Dritten Person geschildert wird, und die jeweiligen Rückblicke, die immer abwechselnd mit den aktuellen Kapiteln zu lesen sind. Diese Rückblicke werden immer in der 1. Person geschrieben, jedesmal aus Sicht eines anderen Beteiligten und auch in immer unterschiedlichen Zeiten, die dankenswerter Weise als Kapitelüberschriften angegeben werden. Allein diese Idee finde ich sehr ungewöhnlich und auch höchst interessant! So baut sich das Bild von Albertos Geschichte meist vor dem Auge des Lesers auf, ehe er es selbst entdeckt. Einen sehr wichtigen Baustein, der sich erst gegen Ende des Buches aufklärt, habe ich bereits sehr früh geahnt, was ich jedoch nicht als nachteilig empfinde. Dieses Buch rührte mich schon nach den ersten Sätzen auf merkwürdige Weise an. Selbst Nebensächlichkeiten werden so beschrieben, dass sofort Bilder vor meinem geistigen Auge auftauchen. Mir gefällt der Schreibstil sehr gut, weil er mich wirklich mitgenommen hat auf diese seltsame Reise von Großvater und Enkel. Je länger die Beiden unterwegs sind, desto fester wird die Bindung der Beiden. Obwohl das Buch trauriger endet als erwartet, war es doch ein großes Vergnügen, es zu lesen. Letztlich ist es ein Buch, das viele Themen berührt: der Krieg und seine Grausamkeiten, Familie und Liebe, Glaube und Kirche sowie Tradition. Dies alles wird mehr geschildert denn erklärt oder gar gewertet. Es wird vollkommen dem Leser überlassen, was er vor allem nach den Rückblicken für Wertungen vornimmt. Da diese alle aus der Sicht des jeweiligen Akteurs geschildert sind bekommt man einen ganz anderen Blick auf die entsprechende Situation, als wenn sie von einem Dritten erzählt würde. Eine ausgesprochen spannende Erfahrung für mich! Fazit: Ein ganz besonderes Buch für Liebhaber versteckter Schätze. Ich bin froh, dass ich es lesen durfte!

zurück nach oben