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DasIgno

Posted on 1.2.2020

Die EU in einer nahen Zukunft. Die Festung ist dicht, Totalüberwachung bis in den letzten Winkel etabliert, der Klimawandel hat die ganze Welt neu geordnet. Als die Abstimmung über eine EU-Verfassung näher rückt, wird ein MEP auf einem abgelegenen Feld ermordet. Hauptkommissar Arthur van der Westerhuizen von Europol ermittelt in dem Fall. Der technische Fortschritt macht es möglich, einen Großteil der Ermittlungsarbeit in virtuellen Spiegelungen stattfinden zu lassen. Unterstützt durch Terry, die ausgefeilte KI der europäischen Ermittlungsbehörden, scheint der Fall schnell geklärt. Doch dann tauchen Zweifel an der Authentizität der Spiegelungen auf. Wird die digitale Beweisführung manipuliert? Aart und Ava, seine Analystin, gehen der Sache auf den Grund und geraten schnell in große Gefahr. Tom Hillenbrands Kriminalroman ›Drohnenland‹ erschien 2014 bei Kiepenheuer & Witsch. Das Buch umfasst 422 Seiten, die sich in 28 Kapitel gliedern. Tom Hillenbrand zeichnet in seinem Krimi eine düstere Zukunft der EU und der Welt. Der Klimawandel hat alles aus dem Gleichgewicht gebracht, bekannte Großmächte sind nur noch ein Schatten ihrer selbst, andere Staaten haben ihre Rolle übernommen. Die EU ist endgültig abgeschottet und auf dem besten Wege in einen Polizeistaat. Alles wird überwacht und aufgezeichnet. Aus den Aufzeichnungen lassen sich digitale Abbilder der Realität generieren und so findet auch die Ermittlungsarbeit mehr und mehr innerhalb dieser digitalen Abbilder statt. Hillenbrand wirft die Frage auf, inwieweit wir uns auf die Integrität von Daten und Computersystemen verlassen dürfen – eine Frage, die in geringerem Ausmaß schon heute hochrelevant ist. Während des Lesens musste ich immer wieder an ›Sin City‹ denken. Hillenbrand setzt ›Drohnenland‹ ähnlich um. Aart van der Westerhuizen ist der genretypisch kaputte Polizist: Mittleres Alter, keine Familie, privat ein bisschen verwahrlost, beruflich ein bisschen hinter dem Stand der Technik – was ihn überhaupt erst zu der zentralen Figur des Falles macht. Daneben ist er ausgeprägter Bogart-Fan. Das und seine etwas spezielle Beziehung zu Ava lockern seine Rolle ein wenig auf. So oder so, er bleibt ein sympathischer Charakter. Was die Spannungskurve betrifft, wechselt ›Drohnenland‹ immer wieder zwischen sehr ruhig daher dümpelnden und rasanten Phasen. Insbesondere der Beginn zieht sich ein wenig, aber das ist an sich in Ordnung. Selten reißt die Spannung ab, es gab nur wenige Stellen, an denen ich das Buch ruhigen Gewissens weglegen wollte. Ein wenig erschwerend empfand ich die Verwendung zahlreicher technischer Begriffe (nicht selten Wortschöpfungen), die aber leider nicht oder erst später erklärt wurden. Das trug nicht unbedingt dazu bei, dass ich mich, gerade im ersten Teil des Buches, besonders leicht in die Szenerie hineinversetzen konnte. Hier wären kurze Einführungen im Text oder ein Glossar hilfreich gewesen. Mit der Zeit gibt sich das, aber so weit kommen manche vielleicht gar nicht. ›Drohnenland‹ wird zwar als Kriminalroman eingeordnet, reicht aber insbesondere ins Genre des Technologie-Thrillers deutlich rein. Hillenbrands dystopische Vision der technischen Totalüberwachung und des großflächigen Zusammenbruchs heutiger gesellschaftlicher Ordnungen weltweit ist genretypisch. Auch das macht mir das Buch sehr sympathisch, schließlich gehört das Genre zu meinen liebsten. Insgesamt ist ›Drohnenland‹ ein toller Roman zwischen Krimi und Techthriller. Eine düstere Vision insbesondere eines zukünftigen Europas und der Welt, die wir bekommen könnten, wenn wir dem technologischen Fortschritt kritiklos folgen. Allemal auch heute noch lesenswert.

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