Profilbild von gwyn

gwyn

Posted on 23.1.2020

»Das Einzige, wofür sich ein Brite nicht entschuldigt, sind wirklich bedeutende Fehltritte und größere Sünden. Wo die Bitte um Entschuldigung also wirklich angebracht wäre, sind unsere Schande und die Scham darüber so groß, dass sie niemals angesprochen werden dürfen.« Die Briten sind unsere europäischen Nachbarn – ein etwas anderes Volk – sie fahren auf der falschen Straßenseite, messen in Fahrenheit und Meilen, kurz, sie machen alles anders als der Rest Europas. Sie sind Meister der Extrawürste – apropos Würste, die britische Küche genießt keinen guten Ruf – und nun steigen sie ganz aus Europa aus: Brexit. Mit Kopfschütteln blickt der Rest Europas über den Ärmelkanal, fragt sich, was auf der Insel derzeit abgeht. Kein Vorschlag zum Brexitabkommen wird angenommen – no, no, ist die Antwort, auf konkrete Vorschläge seitens der Briten dürfen wir wohl noch lange warten. Sorry, we`re so sorry – wir hätten euch gern bei uns behalten, liebe Nachbarn. Wir würden euch gern verstehen … »Heilige Kühe, die niemand schlachten darf. Für uns Briten ist das der National Helth Service, äh, ich meine unser glorreiches, staatliches Gesundheitssystem. Es ist so unantastbar wie die Queen, Adele, Stephen Fry, Lady Di und die BBC. ›Die NHS kommt einer nationalen Religion Englands am nächsten‹, hat der Politiker Nigel Lawson gesagt. Ich glaube, damit meint er: Man darf ihn nicht kritisieren, er steckt voller falscher Götzenbilder und passt nicht in die moderne Welt.« Wer sind die Briten und wie ticken sie? Sorry oder I’m so sorry, der beliebteste Satz. Einfach mal entschuldigen, ob man etwas gemacht hat oder nicht, für alles das, was man noch zu tun gedenkt … Niemanden stören, niemandem zur Last fallen, immer freundlich und höflich sein. I’m so sorry, dass ich es so formuliere, es wäre sicher eine geschliffenere Version möglich gewesen, sorry. Gesundheitssystem, Klassengesellschaft, Kameraüberwachung, britischer Humor – Banter, es gibt eine Menge zu erfahren über unsere Nachbarn. Frag mal jemanden, ob er Hilfe benötigt – natürlich braucht er keine! Dreimal fragen, dreimal ablehnen, das gehört zum Spiel. Beim vierten Mal nicht fragen, einfach anpacken – alles andere wäre jetzt unhöflich. »Eins habe ich in Deutschland rasch gelernt: Wenn ich fürchte, dass mir die Antwort nicht gefallen könnte, sollte ich die Frage nicht stellen. Bei uns Crumpet-Fans haben Sie das umgekehrte Problem: Sie stellen Fragen und bekommen Antworten und müssen dann zu deuten versuchen, was wir damit gemeint haben. Gar nicht fine.« Please und thank you – wie kaufen wir ein? Nach sorry, die nächsten wichtigen Vokabeln. Danke, Danke, Danke, und nicht vergessen – sorry – wofür auch immer. Englische Höflichkeit, eine Hürde ist zu nehmen und alles was als fine bezeichnet wird, ist nicht wirklich fein. Groß Britannien, das Land der Zwischentöne, Adam Fletcher erklärt uns die Briten mit einer ordentlichen Portion britischen Humors. Bei so viel Höflichkeit und Rücksichtnahme ist folgende Tatsache nicht verwunderlich: die herbesten und obzönsten Flüche können die Briten ebenso für sich verbuchen. Adam Fletcher ist Wahlberliner, mit einer Deutschen liiert. Er blickt mit Liebe und gleichzeitigem Kopfschütteln – sorry, mit britischem Humor – auf sein Volk. Das ganze ist hinterlegt mit Vergleichstabellen (die übrigens nicht neu sind) und ein paar Grafiken. Amüsant und gut zu lesen, ein Buch, dass man vor seinem Urlaub auf den Britischen Inseln lesen sollte. Brav in Reihe aufstellen, in die öffentlichen Kameras schauen und einfach mal sorry sagen – für alles, was man in den nächsten Stunden falsch machen wird. Empfehlenswert! Adam Fletcher, 1983 in England geboren, lebt seit 2010 in Berlin. Er hat die halbe Welt bereist, hat sich in die Deutschen verliebt und ist daher nun bereit, uns die letzten Geheimnisse der britischen Seele preiszugeben.

zurück nach oben