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salzbrand

Posted on 18.8.2019

Mit diesem Buch legt Wolf eine populärwissenschaftliche Analyse des Lesens in unserer Zeit vor. Ganz allgemein wird das analoge dem digitalen Lesen antagonistisch gegenübergestellt. Der Witz vom "Fast-Reading" und "Slow-Reading" in Anspielung auf "Fast-Food" und dem neueren Trend "Slow-Food" geht in der deutschen Übersetzung leider verloren, spiegelt aber den Inhalt des Buches ziemlich genau wider. Das Lesen und sein komplexer Ablauf im Gehirn findet in sog. Leseschaltkreisen statt, die verschiedene Prozesse aus verschiedenen Hirnregionen vereinen. Entscheidend ist hier die Plastizität des Gehirns und dessen Funktionsweise beim Lesen. Folgend wird eine Bestandsaufnahme des Lesens in der heutigen Gesellschaft bzgl. gedruckter und digitaler Medien gemacht. Wenig überraschend beschäftigt sich Wolf im weiteren Verlauf mit einem Plan für die zeitgenössische, optimale Leseerziehung der Kinder, was schließlich irritierenderweise in Werbung für ein (sicherlich gutes) Non-Profit-Projekt der Autorin mündet. Diese episch ausgebreitete Vorstellung Wolfs wird zuletzt noch von der Befürchtung komplementiert, dass das analytische und kritische Denken mit dem "langsamen", also "vertieften" Lesen verloren geht und somit nichts weniger als die gesamte freie und demokratische Welt über den Jordan springt. Aufgebaut ist das Buch in „Briefen“. Es könnte auch genauso gut in Kaptiel unterteilt sein … oder Lammkoteletts. Denn das „Format“ Brief lässt sich nicht wirklich erkennen und hat auch inhaltlich wenig bis keine Bedeutung. Einzig briefförmig ist eine Begrüßungsfloskel sowie die Schlussformel: „Hochachtungsvoll, Ihre Autorin“. Gerade im zweiten Teil des Buches wird der Anspruch des "richtigen" Lesens deutlich, der nichts weniger, als die Rettung der Zivilisation darstellt. Leider löst Wolf den eigenen Anspruch, nicht kulturpessimistisch zu sein, nicht ein. Warum? Weil die Autorin (natürlich mit ihrer wiss. Laufbahn als Basis) über die negativen Effekte genauso viele Vermutungen wie Fakten darstellt. Für eine seitenweise Beschreibung der Probleme, die die digitalen Medien für u.a. Konzentration, Reflexion, Aufmerksamkeit und Empathie bedeuten, gibt es nach diesem Buch häufig lediglich Hinweise. Die Autorin selbst fordert Studien, um all ihre gemachten Befürchtungen zu untersuchen. Und genau deshalb ist es oft Kulturpessimismus und kein Wissensstand. Da hilft auch die fast schon brutale persönliche Färbung der Seiten durch Privates der Autorin wenig. Leider wird einer tieferen Analyse der Vorteile der digitalen Medien kein Platz eingeräumt. Es bleibt bei vagen und hoffnungsvollen Anmerkungen. Interessant und vervollständigend wäre es gewesen. Allerdings spiegelt sich hier wahrscheinlich einfach nur das Dilemma von populärwissenschaftlichen Büchern wider: Zur Wissenschaft zu leicht, zum Genuss zu dröge. War die Lektüre also Zeitverschwendung? Nein, denn ich würde folgende Zeilen nicht schreiben, wenn ich nichts aus dem Buch mitgenommen hätte: Jede Lektüre bietet die Chance auf Weiterentwicklung, so auch diese. Es tauchen immer wieder kleine Kerzenlichter auf, Momente, in denen man sich als Leser wiederfindet und von denen man zum Nachdenken angeregt wird. Das gilt um so mehr, wenn man zu den Lesern gehört, die sowohl mit den Harry Potter-Schinken, als auch mit den digitalen Medien und Videospielen aufgewachsen ist.

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