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doreen

Posted on 3.7.2019

Auf der Homepage des Loewe Verlages wird das inzwischen sechste Jugendbuch von Jessi Kirby als „Digital-Detox“-Roman vermarktet. Doch wie es für Romane von Jessi Kirby nicht unüblich ist, spielen, neben der digitalen Entgiftung in „Offline ist es nass, wenn’s regnet“, natürlich auch Themen wie Trauer und Verlustbewältigung eine gewichtige Rolle – obwohl der Roman diesbezüglich ursprünglich anders geplant war, wie die Autorin in ihrer bewegenden Danksagung mitteilt. Was ich erstaunlich fand: Obwohl die 18-jährige Mari anfangs auf Selbstoptimierung gepolt ist und ihr Social Media Leben auf Perfektion und Trugbildern aufbaut, war sie mir nie unsympathisch. Man merkt eigentlich schnell, dass die geschäftige YouTuberin an ihrer bisherigen Lebensweise zu Zweifeln beginnt und nur noch den richtigen Anstoß für eine Veränderung benötigt. Einerseits fand ich es interessant zu lesen, wie anstrengend ein Leben als Influencerin sein kann, zumindest wenn es – wie in Maris Fall – stets um das perfekte (retuschierte) Foto oder die gegenwärtige Anzahl an Followern geht. Andererseits steht von Beginn an die Entfremdung zwischen Mari und ihrer einst besten Freundin/Cousine Bri im Fokus der Geschichte. Somit ist die innere Zerrissenheit der Ich-Erzählerin bereits ab der ersten Seite präsent. Überdies beginnt sie, sich selbst zu hinterfragen und einen radikalen Entschluss zu fassen, der übertrieben anmutet, in Bezug auf die Folgereaktionen aber gar nicht mal unrealistisch erscheint und das darauffolgende Offline-Abenteuer ins Rollen bringt. Das Thema Selbstdarstellung im Netz finde ich in dieser Hinsicht gelungen umgesetzt, da es zum Nachdenken und Hinterfragen des eigenen Onlineverhaltens anregen kann. Wobei ich jetzt nicht annehme, dass Mari die Realität aller Influencer wiederspiegelt. Und wenn doch, finden sich hier gute Tipps für eine „Digital Detox“-Kur nebst Selbstfindungstrip. Und dieser ist kein Spaziergang! Denn Mari begibt sich spontan in den Yosemite Nationalpark, um für ihre Cousine posthum ein Stück des John Muir Trails zu laufen, der sich auf gute 211 Meilen erstreckt. Das sie unterdessen an der eigenen Fake-Persönlichkeit und dem Spontantrip zu (ver-)zweifeln beginnt, ist in der Einsamkeit der Berge natürlich verständlich und gehört zum Reifeprozess dazu. Obgleich sie bis kurz vor Schluss immer wieder gerne die Beine in die Hand nimmt, wenn es zwischenmenschlich kriselt und erst lernen muss, Konflikten direkt ins Gesicht zu blicken. Das ist nicht immer ein Leservergnügen, passt aber zu Maris Entwicklung, die eben erst klärender Regenschauer und Naturgewalten bedarf – neben der einen oder anderen (gerne erwähnten) Ibuprofen Tablette gegen Gliederschmerzen. Ermunterung kommt in Form von Tagebucheinträgen, die Bri vorab für diesen Trip niedergeschrieben hat und die Mari nun als Orientierungs- und Motivationsstütze dienen. Die dafür passend im Buch abgebildeten Illustrationen von Imke Sönnichsen bieten auch lesetechnisch Abwechslung und machen Bri sympathisch und spürbar, obwohl sie körperlich abwesend ist. Für mich ist Maris Cousine hier ohnehin der Motor, der die Geschichte über weite Strecken am Laufen hält und diesen Hike – vor allem emotional – unvergesslich macht. Natürlich kreuzen weitere Reisegefährten den Weg der mutigen Wanderin und es wird sogar Raum für eine kleine, dezent platzierte „Liebes“-Geschichte geboten. Ich persönlich fand die sporadisch herumflatternden Schmetterlinge im Bauch aber nicht notwendig und hätte mir vom Nebenpersonal mehr Ecken und Kanten gewünscht. Das ist jedoch Geschmackssache und machte für mich „Offline ist es nass, wenn’s regnet“ nicht weniger lesenswert. Fazit: Offline muss man sich nicht unbedingt persönlich in den Regen begeben und sich über 211 Meilen durch Berge und Flüsse quälen. Die circa 331 Seiten von Jessi Kirbys sechstem Jugendroman bieten nämlich schon einen guten Grund, das Smartphone für eine Weile aus der Hand zu legen und sich für ein paar Stunden auf ein emotionales Offline-Abenteuer mit diversen Höhen und Tiefen einzulassen. Für mich stellte sich indes gar nicht erst die Frage: Aufgeben oder Weiterblättern? Weiterblättern!

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