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DasIgno

Posted on 20.4.2019

Seit dem grausamen Mord an ihrer Mutter lebt die nun 15-jährige Vivien in der geschlossenen Psychiatrie. Deren ärztlicher Leiter Professor Ullrich, ein Vertreter der Reinkarnationstherapie, hält sie aber für völlig normal, ganz im Gegensatz zur restlichen Gesellschaft. Vivien lebt zwischen ihren Realitäten. Mal auf der Erde im Hier und Jetzt, mal auf dem fernen, archaischen Planeten Thara. Ein Konflikt von dort scheint sich auf der Erde fortzusetzen und als weitere Leichen auftauchen – grausam verstümmelt, wie damals ihre Mutter – eskaliert die Situation. ›Karma-Attacke‹ erschien zunächst 2001 im Berner Verlag Scherz. Die aktuelle Fassung wird seit 2010 bei FISCHER aufgelegt. In dem 416 Seiten starken Werk merkt man aber deutlich sein Alter. Stil und vor Allem Wortwitz, wie sie heute typisch für Wolfs Werke sind, fehlen dem Buch fast vollständig. Es ist insgesamt sehr viel ernster geschrieben. Mit der Reinkarnationstherapie bzw. -theorie wählt Wolf einmal mehr ein umstrittenes bzw. schwieriges, damals aktuelles Thema, wie er das auch schon in beispielsweise ›Traumfrau‹ zum illegalen Mädchenhandel getan hat. Wolf nimmt dabei erneut kein Blatt vor den Mund – er taucht tief und recht schonungslos in das Thema ein. Zwischenzeitlich kann man den Eindruck bekommen, er selber sei Anhänger dieser psychologischen Richtung gewesen, so genau sind seine Darstellungen. Daneben übt Wolf Kritik am psychiatrischen System allgemein, das sich zu sehr auf Ruhigstellung der Betroffenen beschränkt. Diese Kritik ist wohl bis heute gültig. Durch die Thara-Anteile bekommt das Buch einen Anstrich von Fantasy, auch das war mir bisher eher untypisch für Wolf. Wenn man sich darauf einlässt und nicht den typischen Wolf von heute erwartet, ist das Buch durchaus unterhaltsam und gut geschrieben. Wolf lässt den Spannungsbogen nie abreißen. Zwar bekommt man früh eine Ahnung, wer letztlich für die Morde verantwortlich sein könnte, diese wird aber immer wieder erschüttert, bis es kurz vor Schluss zur Auflösung kommt. Wie man es auch heute von Wolf gewohnt ist, taucht er nicht nur in seine Protagonisten tief ein. Als Leser bekommt man auch bei nahezu allen Nebencharakteren eine klare Ahnung, weshalb sie sich so vermeintlich irrational verhalten, wie sie es tun. Einzig SOKO-Leiter van Ecken bleibt in der Hinsicht etwas blass, doch das ist verschmerzbar. Alles in Allem ist ›Karma-Attacke‹ nette Unterhaltungsliteratur. Wer einen nach heutigen Maßstäben typischen Wolf erwartet, wird aber enttäuscht werden. Mit den Ostfriesenkrimis hat das Buch nicht viel gemein.

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