Meine gelesenen Bücher im April 2022

+Der Holländer

Mathjis Deen hat hier ein richtig interessantes Buch erschaffen. Einerseits und hauptsächlich dreht sich das Buch um einen Kriminalfall. Einer von drei Extrem-Watt-Wanderern wird tot im niederländisch-deutschen Grenzgebiet aufgefunden. Durch eine unklare Grenzziehung kommen sich nun niederländische und deutsche Behörden in die Quere. Und hier soll Der Holländer Abhilfe schaffen, Liew Cupido, das Kind einer Deutschen und eines Holländers, auf der niederländischen Insel Texel aufgewachsen, ein deutscher Polizist und ein Kenner der Begebenheiten der niederländisch-deutschen Küstengebiete.
Mathjis Deen erschafft in seinem Buch "Der Holländer" absolut interessant und eckig gezeichnete Figuren (und damit meine ich nicht nur den titelgebenden Holländer) und einen geschickt aufgebauten Kriminalfall, der auf Charakterzeichnung beruht und nicht durch Effekthascherei glänzt. Ein weiterer und absolut wichtiger Pluspunkt des Buches ist für mich die Zeichnung und Beschreibung der Landschaft, der Natur der niederländischen und deutschen Küstenlandschaft. Man merkt die Liebe des Autors zu diesem Landstrich und auch dies macht einen großen Zauber des Buches aus. Denn man fühlt sich mittendrin, hört das Rauschen des Meeres und das Schreien der Möwen.
Nur wenig fehlt für mich hier für den letzten Stern. Ich habe mich nur nicht vollkommen von der Geschichte mitgerissen gefühlt, sie ist bedächtig und ruhig geschrieben. Aber irgendwie passt diese Ruhe/diese Bedächtigkeit auch wieder sehr gut zu der friesischen Landschaft.

⭐⭐⭐⭐

+Camanchaca

Ein junger Mann aus Chile fährt im Auto nach Peru, mit dabei ist sein Vater und dessen neue Frau und ihr gemeinsames Kind. Und ebenso mit von der Partie sind Erinnerungen des jungen Mannes, Erinnerungen an Vergangenes, Erinnerungen an eine beschädigte Kindheit, Erinnerungen an verschiedene Traumata. Sie machen diese Reise um dem jungen Mann einen Besuch bei einem bezahlbaren Zahnarzt zu ermöglichen, denn in Chile ist ihnen dies finanziell nicht möglich. Damit ist dieses Buch auch ein Blick auf die Armut, die auch durch die Trennung der Eltern entstanden ist, was nur ein Trauma des Jungen ist. Denn die Armut bedingt auch Veränderungen in den Ernährungsgewohnheiten des jungen Mannes und dessen Mutter, welche sich im Übergewicht der Beiden zeigt und auch bei ihrem Zahnstatus. Die Mutter hat ihre Zähne schon verloren und durch die Fahrt zum peruanischen Zahnarzt versuchen sie dies dem jungen Mann zu ersparen. Womit sich weitere Traumata präsentieren, das Übergewicht und die blutenden Zähne haben dem jungen Mann weiteres Unheil gebracht, denn seine kindliche Umwelt zeigt wenig Erbarmen. Auch sein Verhältnis zum Vater zeigt nicht überwindbare Schranken. Nur zu seiner Mutter hat er ein offeneres Verhältnis, aber auch hier gibt es Unaussprechbares, es lassen sich familiäre Katastrophen erahnen. All dies klingt nach einem übermächtigen Gebilde, vor welchem Betroffene gern die Augen verschließen, die Wucht der Emotionen gern ausblenden wollen, sie in einem Nebel verschwinden lassen wollen, dem Camanchaca, dem Nebel, der die chilenische Küste einhüllt. Und genau deshalb ist diese Geschichte auch so kühl erzählt worden. Weil zu viel Gefühl hier wahrscheinlich beschädigt/zerstört.

⭐⭐⭐⭐

+Eine Nebensache

Dieses Buch ist überhaupt keine Nebensache. Der Titel sagt es geht um eine Nebensache. Was für eine Formulierung. Und dennoch, für manche Menschen ist das erläuterte Geschehen sicher eine Nebensache. Sonst würde es diese Gewalt, diese Kriege nicht geben. In manchen von uns steckt ein Monster und sie warten nur auf Gelegenheiten es heraus zu lassen. Auch dies sollte uns klar sein. Auch wenn dies schwer zu verkraften ist.

In diesem Buch gehrt es um Blicke auf ein vergangenes Geschehen und Blicke in die heutige Zeit. Im Sommer 1949 wird ein arabisches Mädchen von israelischen Soldaten gefangen genommen, nachdem ihre Begleiter ermordet wurden und anschließend vergewaltigt und in der Wüste begraben. Eine junge Frau aus Ramallah versucht in der heutigen Zeit mehr über diesen Vorfall herauszufinden. Sie ist regelrecht besessen vom Tod der jungen Frau, weil dieser Vorfall genau 25 Jahre vor ihrer Geburt im Jahre 1974 stattfand. Irgendetwas verbindet das junge Mädchen und sie, sie kann nicht loslassen, sie muss suchen, sie muss finden. ...

Ebenso wie die Autorin mit der suchenden Frau aus Ramallah verbunden ist, über ihr gemeinsames Geburtsjahr 1974. Was sicher kein Zufall ist.

In diesem Buch werden Vergleiche gezogen, erschütternde Vergleiche. Vergleiche über eine Nebensache. Und in diesem Buch werden Einblicke geboten, Einblicke in das Grauen, Einblicke in den Krieg. Aber genauso bietet dieses Buch auch Einblicke in das Patriarchat und seine Segnungen.

⭐⭐⭐⭐⭐

+Das Vorkommnis

Die Erzählerin, eine Autorin wird nach einer Lesung von einer ihr fremden Frau angesprochen und diese teilt ihr mit, dass sie beide den gleichen Vater haben, also Halbschwestern sind. Das veranlasst die Erzählerin zu einer spontanen Umarmung der ihr fremden Frau. Dennoch bleibt die Verbindung der Halbschwestern flüchtig. Denn das Einlassen auf diese Neuigkeit fällt der Erzählerin nicht leicht. Aber die Begegnung hat Folgen für die Erzählerin. Sie kommt ins Sinnieren, ins Nachdenken, ins Nachfragen, ins Nachhaken. Dabei sind die Gedanken der Erzählerin schlüssig und nachvollziehbar, wenn auch manchmal etwas ausufernd. Und die Gedanken der Erzählerin sind auch etwas holprig zu lesen, da sie ungeordnet und sprunghaft erscheinen. Aber wenn ein Ereignis eintritt, dass solche Wellen auslöst, wie die Begegnung der beiden Halbschwestern im Text, wird wahrscheinlich niemand klar und geordnet nachdenken können, da sich ja das bisher geglaubte und erlebte Leben in seiner Struktur auflöst und viele essentielle Fragen aufkommen. Von daher passt diese Anordnung für mich. Das Erzählte erreicht mich vollkommen, es ist berührend und die Schreibe macht mich neugierig auf weitere Bücher der Autorin. Ebenso wie mir auch der Inhalt der Gedanken, die Lebenswelt der Frau gefällt, mir nahe geht, mich berührt.

Wenn ich mir überlege, dass dieses Buch das erste von einer Trilogie ist, die als Biographie einer Frau betitelt ist, freue ich mich schon sehr auf die weiteren Bücher und auf ein zusammenhängendes Lesen.

Denn auch die Vita der Autorin interessiert mich, erinnert mich, macht mich neugierig. Ich freue mich eine neue interessante Autorin kennengelernt zu haben!

⭐⭐⭐⭐

+Nordstadt

Dieses Buch war wieder ein Highlight! Und eine Zufallsentdeckung auf Insta. Eindringlich, einfühlsam und berührend, aber ebenso auch etwas rotzig und derb erzählt Annika Büsing hier die Geschichte einer jungen Frau, die Geschichte einer jungen Liebe, und ebenso ist "Nordstadt" auch ein intensiver Blick auf Traumata. Eine richtig interessante und absolut gelungene Geschichte. Und eine Geschichte, die ein absolutes Feuer versprüht, die man nicht mehr weglegen kann/weglegen will, die über einen immensen Sog verfügt!

Nene, eine junge Frau Anfang Zwanzig, kennt die negativen Seiten des Lebens zur Genüge. Ihre Überlebensstrategie ist die negativen Dinge zu vergessen, pragmatisch ans Leben ranzugehen, kein Opfer zu sein, eine Maske tragen, alles Negative in sich zu verschließen. Auf ihrer Arbeit in einem Schwimmbad lernt sie Boris kennen, ein an Kinderlähmung erkrankter junger Mann. Auch er hat es gelernt/hat es lernen müssen, mit dem Negativen zu leben. Auch er trägt eine Maske. Beide begegnen sich und das Leben tobt. Über ihre Ecken und Kanten ziehen sie sich an, ecken sie aneinander an, verlieben sie sich schließlich. Einfach wunderschööön! Lesen!!! Alle!!!

Und ich hab eine Autorin mehr, deren Schaffen ich beobachten werde. Ich freue mich riesig über diese Zufallsentdeckung.

⭐⭐⭐⭐⭐

+Sommernacht

Dieses Buch konnte ich auch nicht mehr aus der Hand legen. Gekauft hatte ich es mir weil mich die Geschichte etwas an "Zehn kleine Negerlein" erinnert hat. Geworden ist die Geschichte dann anders, aber verschlungen habe ich sie trotzdem. Auch wenn der Vergleich mit der Granddame des Krimis natürlich hinkt.

Eine einsame Insel an der irischen Küste. Eine Hochzeit soll hier zu einem rauschenden Fest werden. Doch mit der Hochzeitsgesellschaft ziehen auch einige Geheimnisse und Feindseligkeiten auf der Insel ein. Ein heftiger Sturm, der die Insel dann vom Festland abschneidet, bildet dann nur noch das Sahnehäubchen für das folgende Geschehen.

Die Geschichte ist spannend geschrieben, die Örtlichkeit ist perfekt gewählt und auch das Personal ist interessant gezeichnet. Dennoch war mir einiges zu offensichtlich und deswegen gab es einen Stern Abzug. Trotzdem habe ich mich wunderbar unterhalten gefühlt!

⭐⭐⭐⭐

+Das Meer von Mississippi

Auch dieses Buch war ein Highlight!

Einerseits ist dieses Buch von Beth Ann Fennelly und Tom Franklin ein interessanter und spannender Blick auf die Geschehnisse der Mississippiflut von 1927. Andererseits ist es wieder ein Abenteuerroman mit einem Crime-Anteil. Und dann wieder ist es eine Liebesgeschichte. Und zusammengefasst ist es eine absolut gelungene Unterhaltung. Ich hab es geliebt! Wen man mal von dieser sehr drögen Liebesszene absieht!

Hauptpersonen sind Jesse und Dixie Clay Holliver, das Schwarzbrennerpaar und die beiden Prohibitionsagenten Ham Johnson und Ted Ingersoll, welche in das kleine Städchen Hobnob im Bundesstaat Mississippi kommen, um den Schwarzbrennern auf die Spur zu kommen und das Verschwinden zweier Prohibitionsagenten aufzuklären. Dabei kreuzt ein Waisenbaby den Weg der Prohibitionsagenten und Ted Ingersoll findet auf der Suche nach einer passenden Mutter zu Dixie Clay Holliver, deren Mann bald nicht sehr erfreut über den Kontakt der Beiden sein wird. Wobei Jesse Holliver noch andere hochfliegende Pläne hat. Und während dem Geschehen regnet es und regnet und regnet und regnet ...

⭐⭐⭐⭐⭐

+Das Geburtstagsfest

Wieder ein Lesehighlight! Ein absolut spannend und soghaft geschriebenes Buch über die Schuld und ein Blick nach Kambodscha zur Zeit der Roten Khmer, ein Blick auf die "Killing fields".

Ein Überraschungsgast der Kinder des 50-jährigen Kim Mey ist zwar gutgemeint, verdirbt aber Kim, sowie auch dessen Frau Ines diesen Tag. Denn der Überraschungsgast ist Tevi Gardiner, jene Frau, mit der Kim als Kind aus Kambodscha geflohen ist und die er nun seit 25 Jahren nicht mehr gesehen hat. Und auf dieser Geburtstagsparty kommen die verstörenden Gründe für den Kontaktabbruch ans Tageslicht.

Ebenso wird in Rückblicken das vergangene Geschehen dargestellt. Und die Blicke nach Kambodscha zeigen den Horror, der damals in das Land getragen wurde. Und diese Blicke sind nichts für schwache Nerven, denn Kambodscha war damals in der Zeit der Roten Khmer die Hölle auf Erden.

Judith W. Taschler versteht es meisterhaft ihre Geschichte aufzubauen, erzeugt eine spannende Geschichte und einen verstörenden Blick auf menschliche Abgründe und menschliche Dramen, bleibt dabei aber dennoch empathisch.

⭐⭐⭐⭐⭐

+Die Zehnjahrespause

Amy, Jill, Roberta und Karen sind Freundinnen und sie sind Mütter. Alle waren berufstätig, sind wegen der Kinder dann zuhause geblieben, denn der Berufseinstieg gestaltete und gestaltet sich schwierig. Eine Zehnjahrespause entstand, denn die Zeit fliegt manchmal so dahin, doch irgendwann kündigen sich dann doch Veränderungen an.
Auch in diesem Buch beschäftigt sich Meg Wolitzer wieder mit feministischen Fragen, feministischen Ideen und der Stellung der Frau. Wieder bemerkt man einen feinen, fast etwas böse zu nennenden Humor am Rande. Diese Schreibe der Meg Wolitzer macht natürlich Spaß, aber diese Thematik hier, ich weiß nicht, ich habe sie nicht besonders gemocht. Wirkt sie doch etwas dröge. Doch frage ich mich auch warum ich diese Schreibe nicht gemocht habe und hier komme ich etwas ins Grübeln. Ist es der innerliche Streit in mir, einerseits die feministischen Ziele zu sehen und dann wieder das reale Leben, das manchmal mit dem Feminismus recht wenig gemein hat. Denn diese Hausfrauennummer, irgendwie ist sie in mir negativ behaftet. Doch warum ist das so? Manche der Gründe für ein Hausfrauendasein der vier New Yorkerinnen sind plausibel und nachvollziehbar. Warum denkt man dann darüber negativ? Ist dies nicht auch irgendwie ein patriarchales Denken und eine Abwertung? Eine Abwertung, die auch wir Frauen uns selber zufügen. Warum? Kindererziehung und Job ist eine harte Realität. Ist diese Realität zu hart oder ist dies beides immer vollkommen zur Zufriedenheit aller Seiten schaffbar? Ich mag diese Frage nicht beantworten, aber ich kann mich entsinnen, dass ich mich als Kind sehr gefreut habe, wenn meine Mutter zuhause und eben nicht arbeiten war. Oder hat diese Ablehnung auch etwas mit einer Abhängigkeit und einer Nichtselbstständigkeit zu tun? Und mit diesen Gedanken ist diese Thematik plötzlich nicht mehr ganz so dröge. Denn alles spielt hier sicher mit rein. Und alles hier ist in der Thematik des Buches auch zu finden, würde mich auch wundern wenn eine Meg Wolitzer dieses Thema nicht auch allumfassend betrachten würde.
Nur passende Antworten findet man nicht, nur das Tun der beschriebenen Frauen und die eigenen Gedanken dazu und den Humor der Autorin. Aber gibt es denn hier überhaupt passende Antworten? Diese liegen wohl jeweils in den Augen der Betrachter, der Leser! Und jede persönlich muss die eigene passende Antwort darauf finden.

⭐⭐⭐⭐