#ausgelesen: (Hg.) Sascha Michel, Mirjam Neusius, Lea Katharina Ostmann: Mein Klassiker - Autoren erzählen vom Lesen

Klappentext

Wozu lesen wir eigentlich Klassiker? Was hassen wir an ihnen? Warum begeistern sie uns? Und was macht sie manchmal zu so treuen Begleitern des eigenen Lebens? Zeitgenössische Autoren erzählen von ihren ganz persönlichen Erfahrungen mit den Klassikern der Weltliteratur

Mit Texten von:

Zsuzsa Vánk, Klaus Böldl, Alain de Botton, Silvia Bovenschen, Thomas Brussig, Günter de Bruyn, Nadja Einzmann, Dieter Forte, Julia Franck, Robert Gernhardt, Christina Griebel, Lukas Hammerstein, Josef Haslinger, Gregor Hens, Wolfgang Hilbig, Felicitas Hoppe, Ricarda Junge, Bernhard Keller, Dieter Kühn, Reiner Kunze, Michael Lentz, Alberto Manguel, Rainer Merkel, Dirk von Petersdorff, Richard Powers, Kathrin Röggla, Gerhard Roth, Sabine Schiffner, Arnold Stadler, Peter Stamm, Anke Stelling, Marlene Streeruwitz, Birgit Vanderbeke, Stephan Wackwitz, Maike Wetzel, Roger Willemsen

5 Autorinnen mehr, 5 Autoren weniger - und ich hätte mal richtig Grund zum Jubeln. Aber dieser Schnitt ist schon viel besser, als in allen anderen Anthologien, die ich bisher gelesen habe.

Buchbeginn

Vorwort

Wer immer sich über die sogenannten Klassiker verständigen will, hat es mit einem längst in Besitz genommenen Feld zu tun. Ob in der PR zum runden Todestag oder in den Grundsatzdebatten über Kanonbildung und kulturelle Werte - wenn es um die ,heiligen' Texte der Vergangenheit geht, lässt die Kulturpolitik nicht mit sich spaßen. Und weil das so ist, weil es also bei den Klassikern notorisch um unsere vermeintlichen Fundamente geht, sind es nicht zuletzt die Schulen und Universitäten, die das Reden über Klassiker rhetorisch prägen. Hier, in den ewigen Paralleluniversen von Deutschunterricht und Proseminar, wird einem von Grund auf beigebracht, was so einen Klassiker zum Klassiker macht - die nötige Dosis "Dekonstruktion", wenn's sein muss, inklusive.

Zitate

Marlene Streeruwitz

Systematische Entfremdung führte zu systematischem Desinteresse. Schon dem kleinen Mädchen anerzogene Anpassungssehnsucht wurden noch einmal gegen die junge Frau gerichtet. Fragen. Spekulationen. Unsicherheiten. So eine Mädchenklasse wurde von den Unterrichtenden herablassend genug behandelt, um zu lernen, daß es irgendwo Bessere gab, die mit dem Gelernten etwas anfangen konnten. Und daß es einer nicht zustand, die Fragen zu stellen. Und der Deutschlehrer sprach es ja auch aus. Könnte er doch an der Bubenschule unterrichten, seufzte er den Auserwählten zu, die sich in das Literaturlesen am Nachmittag getrauten.

Julia Franck

Als ich den Lenz von Büchner mit achtzehn Jahren zum ersten Mal las, war ich fassungslos und spürte mein Herz rasen. Die scheinbar natürliche Sprachgewalt, mit der Büchner diese Novelle beginnt, das Ineinander, das Voran und Zurück, das Aufbäumen in fast jedem Satz - wie er sprachlich den inneren Zustand seines Lenz nachvollzieht und ausfüllt, ist atemberaubend.

Ricarda Junge

Ich habe nie körperlichen Hunger gelitten, und trotzdem weiß ich genau, wovon Hamsun in seinem Roman spricht. Von dem Schmerz, der Gier, dem Rausch, den Hunger auslöst, von einem überwältigenden Gefühl, das stumpf, grausam und gleichermaßen phantasievoll macht, das schwächt und alle Kräfte in einem bündelt.

Es gibt Bücher, von denen man nur den Namen kennt. Der Name prägt sich einem ein, begleitet einen vielleicht, weil man sich vornimmt, das dazugehörige Buch irgendwann einmal zu lesen, vielleicht, weil der Name etwas in einem berührt. ,Hunger' ist so ein Name, und ,Hunger' ist ein Roman, der nicht enttäuscht, wenn man ihn mit hoher Erwartung und nach langer Zeit des Wartens liest.